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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir
Autoren: Tanja Langer
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Wildbad. Sie erkundigten sich zuvorkommend und eingehend, welche Kontakte Mama und Papa denn hatten, zu Sektkellereien, Winzern, Pharmakonzernen und anderen regionalen Wirtschaftsbereichen. Und – ganz beiläufig – zu welchen Politikern, Leuten aus Film, Funk und Fernsehen und überhaupt allen, die in diesem feinen Golf Club verkehrten. Sie kamen etliche Male, bis meine Mama meinem Papa sagte, sie wolle das nicht, und was würden denn die Gäste denken, und mein Papa nickte, er könne sich Leipzig auch ohne die Herren angucken, und dieselbigen aufforderte, nicht mehr zu kommen.
    Nicht lange danach wurde meine Mama an einem Samstag mitten im Hochbetrieb von der Polizei abgeholt. Nach ungefähr zwei Stunden, in denen mein Vater völlig außer sich war, rief sie an, Opa müsse sofort los und bestätigen, dass sie seine Tochter sei. Die Polizei hatte meine Mama für Mata Hari gehalten. Für eine Agentin. Mama war auch wirklich eine schöne Frau.
    Alles in allem und vor allem wegen meiner Familie war es also nur natürlich, dass ich die DDR liebte, und es gab noch viel mehr Gründe. Zum Beispiel die Literatur.
    Meine erste Dichterlesung habe ich mit Christa Wolf erlebt, und mit Thorsten, im Stadtmuseum von Bad Wildbad. Christa Wolf las vor, und Thorsten küsste mich, in dieser Reihenfolge. Sie las aus Kein Ort. Nirgends, worin sie eine Begegnung von zwei dichtenden Selbstmördern erfunden hatte, von Heinrich von Kleist nämlich mit der Dichterin Karoline von Günderrode. Christa Wolf las sehr ernst mit ihrer dunklen, geheimnisvollen Stimme und sagte, diese beiden sollten uns ein Vorbild sein in ihrer radikalen Existenz. Thorsten und ich verließen die Lesung und gingen unter den blühenden Magnolien im Stadtpark spazieren. Die Magnolien dufteten so existenziell, dass wir uns radikal küssten. Oder umgekehrt. In jedem Fall zum allerersten Mal.
    Einige Monate später fuhr ich nach Frankfurt am Main, um Christa Wolfs Poetikvorlesungen zur Entstehung ihres Buchs Kassandra zu hören. Dort lernte ich Hanno kennen. Hanno hatte auf dem zweiten Bildungsweg Abitur gemacht, er war gelernter Steuerberater und schon dreiundzwanzig. Er hat mich in seiner Badewanne entjungfert, während Herman van Veen mit zärtlicher Stimme Kleiner Fratz sang, auf Schallplatte. Es war schön. Hanno fütterte mich mit den eingelegten Erdbeeren seiner Mutter, die er mit Quark verrührte. Es hielt aber nicht lange. Hanno fand, ich roch zu oft nach Küche. Besonders freitags. Da gab es im Golf Club immer Fisch.
    Wie wir in die Sendung zum Fernsehsender nach Mainz fuhren, weiß ich nicht mehr, vermutlich mit unserer Lehrerin Frau Riemann-Riekermann-Schmitt im Auto. Ich weiß nur, dass ich petrolgrüne Strumpfhosen anhatte, einen braunen Minilederrock und einen Schlabberpulli, der genauso lang war wie der Rock.
    Die Fernsehsendung war eine der ersten Talkshows zu Beginn der Achtzigerjahre und hieß 5 nach 10. Damals sprachen Leute in Talkshows in langen, einstudierten Sätzen und wurden von niemandem unterbrochen. Sie endeten höflicherweise selber oder spätestens, wenn die kleine Sanduhr am Platz ihnen die Zeit anzeigte oder der Moderator ihnen freundlich zunickte. Als besonders innovativen Ansatz hatte diese Sendung die Vorgabe, dass Zuschauer sich nach der Podiumsdiskussion mit den geladenen Gästen an der Gesprächsrunde beteiligen sollten.
    Man setzte Frau Riemann-Riekermann-Schmitt, Klaus und mich so, dass die Kameras uns im Fall aller Fälle günstig erfassen konnten, und puderte uns die Nasen. Mein Herz schlug bis sonstwohin. Ich hatte mich gründlich vorbereitet. Ich wollte meine Lehrerin auf keinen Fall enttäuschen. Und Mama und Papa und Opa, die zu Hause am Fernseher klebten, auch nicht. Die Sendung war nämlich live .
    Und deshalb kam es auch etwas anders als geplant. In der Runde saßen wichtige Wirtschaftsbosse und Gewerkschaftsbosse und Politiker und natürlich keine einzige Frau, dafür sang in einer kurzen Gesprächspause Joanna das Lied von der Gleichberechtigung zur Gitarre, mit einem topmodischen und erstklassig geföhnten Rundschnitt. Das Entscheidende aber war: Die Publikumsbeteiligung fiel aus. Punkt. Die Podiumsdiskussion verlief so hitzig, dass keine Zeit für das Publikum blieb. Und um die Wahrheit zu sagen: Es lag an Julius. Julius war hitzig, niemand sonst. Seine Hitze sprengte den Rahmen völlig.
    Dabei hatte es ganz geordnet angefangen. Jeder der Teilnehmer wurde zuerst einmal von drei höflichen, aber in der Sache strengen
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