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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir
Autoren: Tanja Langer
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und juckelte in den Wald. Als ich ein Teenager wurde, war es Essig mit der Freiheit. Da musste ich im Restaurant mit anpacken. Essen vorbereiten, Essen servieren, Essensreste wegschmeißen. Teller abräumen, Teller stapeln, Teller, Besteck und Gläser in die Spülmaschine stellen und wieder rausnehmen, Gläser abtrocknen, Besteck in den Kasten sortieren. Every Day’s a New Day, sang Diana Ross im Radio, und ich sang es lauthals mit.
    Als ich in die Pubertät kam, war ich abwechselnd lustig und traurig, wie die meisten Teenager. Das Leben meiner Familie und die Welten, zwischen denen ich aufwuchs, steckten voller Rätsel und Widersprüche. Flüchtlingsmentalität hier, Bad Wildbader Geldadel da, der Wald hier, die Schule da. Mein Griechischlehrer fand mich hochtalentiert, aber sarkastisch, und mein Deutschlehrer nannte mich begabt, aber vorlaut. Beide mochten mich, und ich sie. Ich liebte die Schule, sie war meine Gegenwelt zur Küche. Ich machte mein Abitur mit 1,1; es war das Zweitbeste des Jahrgangs. An dem Tag, an dem wir unsere Zeugnisse erhielten und alle anderen abends feierten, servierte ich im Restaurant meiner Eltern. Eine Dame, der ich Bœuf Stroganoff mit Reis und gemischtem Salat hinstellte, erkundigte sich nach meiner Note und sagte dann, die Gabel schon halb im Mund: » Na ja, Kinder, die in der Schule so gut sind, versagen ja später oft im Leben.«
    Ich hätte vielleicht wirklich eine Terroristin werden können. Mein Vater war zu Fuß von Breslau nach Berlin gelaufen, am Ende des Kriegs. Das Autofahren liebte er, als einen echten Fortschritt.
    Eines Tages, im Februar kurz vor dem Abitur, fragte meine Gesellschaftskundelehrerin, ob ich nicht Lust hätte, an einer Fernsehsendung teilzunehmen. Damals war Fernsehen immer noch eine große Sache. Es gab nur zwei Programme.
    » Sie suchen Abiturientinnen und Abiturienten«, sagte sie, » es geht um Arbeitslosigkeit. Ihr sollt euch aus dem Publikum heraus sogar beteiligen!«
    » Prima«, sagte ich, » als künftige Arbeitslose habe ich da bestimmt ein paar Fragen.«
    » Ich rechne mit Ihren Fragen«, sagte sie lächelnd und schlug die Wimpern auf und nieder wie ein entzückendes kleines Mädchen. Frau Riemann-Riekermann-Schmitt war mit dreiunddreißig zum dritten Mal verheiratet und trug die Namen aller ihrer Männer. Sie hatte sehr schöne Augen und einen großen, geschwungenen Mund. Sie zog sich immer sehr modebewusst an und engagierte sich in der Politik. Sie starb, nur wenige Jahre nach meinem Abitur, aus ungeklärten Gründen, viel zu jung.
    Sie fragte auch noch einen Jungen aus dem Gemeinschaftskundekurs, der Mitglied der Jungen Union war, Klaus.
    Ich las jeden Tag mehrere Zeitungen und Zeitschriften und sah im Fernsehen viele politische Sendungen. Ich wollte wissen, was in der Welt los war, Politik, Wirtschaft, Kultur. Mein Opa hatte mir von seinen einschlägigen Erlebnissen in den zwei Weltkriegen erzählt, von seinen Gefangenschaften und seinen Bankrotts. » Du musst dich schlau machen«, sagte er oft, » sonst hast du keine Chance.« Außerdem sagte Opa: » Wenn du Geld hast, gib es aus oder kauf Gold. Alles andere bringt nichts.«
    Papa erzählte auch manchmal vom Krieg, aber nicht so gern. Er war als Junge bei seinen Großeltern in Flatow aufgewachsen, in der Nähe von Schneidemühl, das heute in Polen liegt und Piła heißt. Er war sehr sportlich und ruderte in einer Leistungsmannschaft mit seinem besten Freund. Als er fünfzehn war, im Jahr 1942, wurde er zu den Fallschirmspringern eingezogen und dann, 1945, beim Kampf um Breslau, in den allerletzten Tagen eingesetzt. Er hat gerade noch mal Glück gehabt. Deshalb ist er dann zu Fuß nach Berlin, wo eine entfernte Verwandte einen Seifenladen in Kreuzberg hatte.
    Als ich ungefähr sechzehn war, hatte ich einen Freund, mit dem ich ging. Er hieß Thorsten und war zwei Klassen über mir. Er fragte mich oft, ob es mir nichts ausmache, den Bonzen das Mittagessen hinzustellen.
    Jeden Mittag nach der Schule stellte ich den Bonzen das Essen hin. Herr Kuhlmann, Herr von Ribbentropp, Frau Meyer-Curtius und so weiter. Ich war mit ihnen groß geworden. Manche mochte ich, manche nicht. Sie waren Anwälte, Ärzte, Bankdirektoren, Juweliere. Ihre Frauen waren Gattinnen, manche hießen sogar meine Gemahlin, und sie zogen ihre Kinder groß und spielten auch Golf. Mit den Kindern der Bonzen, die ich nie so nannte, war ich ebenfalls groß geworden. Ich hatte mit ihnen gespielt. Als wir in die Pubertät kamen,
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