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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir
Autoren: Tanja Langer
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fingen wir auch an, Golf zu spielen. Ich hörte bald wieder auf damit. Ich hatte wenig freie Zeit und wollte sie nicht auch noch auf dem Golfplatz verbringen. Ich bediente sie und ihre Eltern. Sie luden mich nicht mehr zu ihren Partys ein und ich sie nicht zu meinen.
    Mein Papa hatte einen Splitter im Kopf aus dem Krieg, der wanderte. Er litt an schweren Träumen. Meine Mama liebte die Idee der finanziellen Unabhängigkeit, das war ihre Mitgift vom Krieg.
    An meinen freien Nachmittagen ging ich in die erste Ökobäckerei unserer Stadt und lernte Brot zu backen. Roggen mit Honig und Nüssen, Hafer mit Weizen, Weizenroggenmisch mit Sesam, alles von unvergleichlichem Geschmack. Alles Vollkorn, alles ökologisch korrekt. Das war damals neu. Und selten. Ich trank dort meinen ersten richtigen Kaffee (aus Paraguay), und wenn wir uns genug mit Mehlkneten und Teigformen und Teigansetzen befasst hatten und unsere Haare und Gesichter voller Mehlstaub waren, setzten wir uns in die helle Küche hinter der Backstube und lasen zusammen Das Kapital von Karl Marx.
    Marx und Mehl bilden in mir eine Einheit wie Rosinen und Brötchen.
    Der gesellschaftliche Antagonismus, wie ich in der Küche hinter der Backstube lernte, lief mitten durch mich hindurch: Im Kopf total bourgeois, war meine physische Existenz proletarisch, bestimmt von Gemüseschnippeln, Abwaschen und Bedienen.
    In meinem Zimmer zu Hause behängte ich die geblümte Tapete mit Bildern aus Kunstkalendern, vor allem Impressionisten und Kandinsky. Kandinsky mochte ich besonders gern, ich fand ihn musikalisch. Ich besuchte eine Theater- AG und einen Malkurs. Nach der Mittagsschicht im Club. Wenn keine Kaffeeschicht war und keine Abendschicht. Manchmal auch zwischen Mittags- und Abendschicht, wenn ich bei besonderen Anlässen half, Wettspielen, Damen-Vierer, Herren-Turnier, Martins-Gans, runden Geburtstagen, Partys.
    Als ich siebzehn oder achtzehn war, wollte ich nicht mehr Mata Hari werden, sondern wie Franca Magnani. Sie war die erste Auslandskorrespondentin im Fernsehen und trug ihre brillanten Analysen mit einem eleganten italienischen Akzent vor. Ich bewunderte sie maßlos. Meine Mama auch. Ich wollte wie » die Magnani« politischen Journalismus machen und bewarb mich in den Wochen vor dem Abitur an der deutschen Journalistenschule. Ich sollte eine Reportage über ein Thema in der Arbeitswelt schreiben und schilderte einen Hauslieferserviceabend mit meiner Mutter (heute heißt das Catering). Von den Einkäufen und Vorbereitungen am Nachmittag, über das Sektgläseranbieten und Aschenbechersaubermachen am Abend inklusive Beobachten der angeschickerten Gäste bis hin zum Abwaschen und Aufräumen in der fremden Küche und dem Nachhausekommen spät in der Nacht. Man antwortete mir, mein Text sei keine Reportage, sondern eine Erzählung, und wünschte mir viel Glück für die Zukunft.
    In der letzten Gemeinschaftskundearbeit über Europa, bevor Frau Riemann-Riekermann-Schmitt wegen der Fernsehsendung fragte, hatte ich gut begründet vorhergesagt, dass Mitterand bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewinnen würde. Ich fand, dass es keine Kunst war, dies vorherzusehen. Meine Lehrerin war da anderer Meinung. Ich kriegte eine Eins plus. Fünfzehn Punkte.
    Am meisten aber interessierte ich mich für die DDR und Russland, das damals noch mit einem ß geschrieben wurde. In Russland wollte die Jugend Pop und Rock. Pop und Rock hieß: Freiheit. Die Jugend in Russland wollte Freiheit.
    In der DDR wohnten meine Oma, also Papas Mutter, mein Opa, meine Tante, zwei Onkels und mehrere Cousins und Cousinen. Als ich klein war, besuchten wir sie in jedem Winter. Sie lebten in der Nähe von Berlin, wo sie eine Gartenwirtschaft betrieben, mitten im Wald, kurz vor Sibirien, wie mein Papa zu sagen pflegte. (Später, nachdem die fünfundzwanzig DM Eintrittsgeld pro Tag eingeführt worden waren, fuhren wir nicht mehr so oft hin. Das war schade, denn ich war gern dort.) Mein Opa hatte Waschbären. Es gab ein Pferd und eine Kuh und Hühner. Und mein Uropa hauste in einer Scheune mit mindestens zwanzig Katzen.
    Dort lernten meine Eltern auch die netten Herren kennen, die eines Tages vor der » Mühle« (so hieß das Lokal meiner Großeltern) in einem dunkelgrauen Auto vorfuhren und meine Oma erbleichen und meinen Opa fluchen ließen. Die Herren luden meine Eltern ein, nach Leipzig zur Handelsmesse zu kommen. Später besuchten dieselben Herren sie einige Male im Golf Club in Bad
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