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Der Täter / Psychothriller

Der Täter / Psychothriller

Titel: Der Täter / Psychothriller
Autoren: John Katzenbach
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des Schattenmannes auf dem festen Kies- und Korallenstreifen etwa zehn Meter von der weißen Brandung entfernt laufen. Durch seinen Sturz hatte der Gegner wieder einigen Vorsprung gewonnen. Winter rappelte sich auf die Beine, überprüfte, ob er sich etwas gebrochen hatte, und stellte fest, dass noch alles funktionierte. Etwas wackelig unternahm er einen Gehversuch.
    Simon Winter holte tief Luft, biss die Zähne zusammen und ging in der Hoffnung, den Abstand wieder zu verkürzen, erneut in Laufschritt über, erst ein paar zaghafte Schritte, dann – den Schmerzen zum Trotz – im ursprünglichen Tempo. Aus einem Mundwinkel lief ihm ein wenig Blut herab, und auf der Stirn bildete sich eine Beule; wahrscheinlich hatte er sich bei seinem Sturz eine Platzwunde geholt, doch er fegte diese neuen Blessuren zusammen mit den alten Schmerzen, die sich von neuem meldeten, beiseite und drängte weiter voran.
    Das Krachen der Wellen an den Strand war jetzt lauter. Unwillkürlich passte er seinen Laufrhythmus an den des Ozeans an.
    Die Dunkelheit schien sich ein wenig zu lichten, und er stellte plötzlich fest, wo er sich befand: Sie rannten zur südlichen Spitze von Miami Beach, an der Stelle vorbei, an der die Kleider des armen Irving Silver gefunden worden waren, hinter dem kleinen, leeren Park gegenüber von Government Cut mit seinen gewaltigen Tarpun-Schwärmen, auf die lange Steinmole hinaus, die weit in den Ozean ragte.
    Mitten im Lauf dachte Winter: Der Schattenmann kennt sich hier aus, und er findet sich im Dunkeln zurecht. Er hält die Gegend für sein eigenes Terrain und hat keine Ahnung, dass auch ich hier zu Hause bin.
    Er kletterte auf die Steine und von dort auf den Holzsteg, den die Angler benutzten. Du bist irgendwo da vorne, dachte er.
    Der alte Detective spähte angestrengt in die dunstige Nacht. Er suchte die dunklen, buckligen Felsen ab, aus denen die Mole bestand, und dachte: Einer davon atmet und kann sich bewegen.
    Hinter dem Holzsteg der Angler ragte die Mole selbst noch einmal über fünfhundert Meter weit ins Meer. Winter blieb stehen, fasste langsam in seine Jacke und zog seinen alten Dienstrevolver hervor.
    Dann trat er ans Ende der Planken, ohne die Formation der scharfkantigen Felsbrocken weiter vorn aus den Augen zu lassen. Die weiße Gischt klatschte an die glitschigen schwarzen Steine.
    War dir klar, fragte er bedächtig, dass du ans Ende der Welt gerannt bist?
    Er nickte. Er ist absichtlich in die Dunkelheit gelaufen, an eine Stelle, an die kein Licht dringt.
    Simon Winter legte die Hand auf die Holzschranke am Ende des Stegs. Hier habe ich schon einmal geangelt, dachte er. Es ist Zeit, wieder angeln zu gehen.
    Er wusste, dass ein vorsichtiger Mann einfach bis zum ersten Morgengrauen an dieser Stelle gewartet hätte. Er sah nach Osten und hatte das Gefühl, dass am Rande der Welt gerade der allererste Streifen Grau heraufzog. Wenn er verharrte, so viel war klar, würde früher oder später ein Polizeiauto kommen, und schon bald würde die Morgendämmerung die ersten Formen erkennen lassen. Doch obwohl er um den Vorteil des geduldigen Wartens wusste und erkannte, dass er den Schattenmann in die Enge getrieben hatte, kletterte er über die Holzbarriere und weiter die glänzend nassen Felsen der Mole entlang. Dabei suchte er mit den Augen jeden Zentimeter nach dem Mann ab, der irgendwo vor ihm in der letzten verbliebenen Dunkelheit lauerte.
    Er dachte: Lass ihm keine Zeit zum Nachdenken, keine Atempause. Lass ihm nicht die Zeit, sich zu sammeln und sich auf dich vorzubereiten. Mach dir die Angst des Verfolgten zunutze. Noch nie ist ihm jemand so dicht auf den Fersen gewesen wie du heute Nacht. Knöpf ihn dir vor, solange er von dieser Ungewissheit geschwächt ist. Auch wenn er es sich nicht eingestand, hatte Winter Angst, dass der Mann, den er jagte, bei helllichtem Tage gleichsam verdunsten und sich in Nichts auflösen könnte.
    Das ist unser Moment, bekräftigte er. Jetzt oder nie.
    Langsam und behutsam balancierte er auf den nassen Steinen der Mole weiter. Er war hellwach, seine Nerven zum Reißen gespannt; er wusste, dass er nicht den Halt verlieren durfte und dass irgendwo in der Dunkelheit sprungbereit der Schattenmann kauerte.
    Er schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass ein einziger kurzer Lichtstrahl von dem reichen Wohngebiet auf Fisher Island die Mole träfe, gerade genug, um seinen Gegner in einer der Mulden zwischen den Felsen zu enthüllen. Doch dieses Gebet wurde nicht erhört.
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