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Der sueße Kuss der Luege

Der sueße Kuss der Luege

Titel: Der sueße Kuss der Luege
Autoren: Beatrix Gurian
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zweiten Mal in seinem Leben das Einzige verliert, wofür es sich zu leben lohnt.
    »Fahr schneller, fahr um Gottes willen schneller!«
    Sebastian stellt den Wagen einfach auf der Straße ab. Sie reißen die Türen auf und stürmen zu Andrea Reimanns Haus, klingeln Sturm. Als niemand öffnet, überspringen sie das Gartentor und hämmern an die Tür und schreien, so laut, dass die Nachbarn rechts und links herauskommen und nachschauen, wer da solchen Lärm macht.
    Und tatsächlich haben sie Erfolg. Andrea Reimann öffnet die Tür, will, dass sie Ruhe geben und verschwinden. Sagt, ihrem Sohn geht es schlecht. Droht, die Polizei zu rufen.
    Diego, der über ihre Schulter nach drinnen gespäht hat, glaubt, dass er einen schwarzen Rollkoffer im Flur entdeckt hat, auch wenn er sich nicht vorstellen kann, dass sie so unvorsichtig ist. Er schiebt sie brutal zur Seite, läuft zu dem Koffer und versucht, ihn zu öffnen, und ruft nach Sebastian, der sich sichtlich unwohl fühlt, aber ihm dann folgt.
    »Sebastian, ich bin sicher, da ist das Geld drin. Aber wo ist Lu?«
    »Warum sollte Lu hier sein?« Andrea lächelt zynisch. »Sie war noch nie hier. Keiner der Schraders hat jemals mit seinem Glanz meine bescheidene Hütte erhellt.«
    »Ich rieche es«, behauptet Diego verzweifelt, obwohl er gar nichts riecht, nur Desinfektionsmittel. »Nur Lu duftet so altmodisch nach Lavendel und Zitronenmelisse.«
    »Unsinn, ich habe hier überall Potpourris, um den Krankengeruch zu vertreiben.«
    Das ermutigt Diego, wenn Andrea glaubt, den Geruch nach Lu rechtfertigen zu müssen, dann könnte es doch sein, dass er richtig liegt. Er drängt sich weiter vor in das große Zimmer und entdeckt die zwei Gedecke, auf einem ist noch ein großer Rest Kuchen. »Sie war hier!«, brüllt er.
    »Sebastian, du weißt, wenn der Teller deiner Schwester gehören würde, wäre er leer.« Andrea Reimann schüttelt den Kopf. »Bitte, schaff diesen Irren hier raus oder ich rufe die Polizei.«
    »Ja, rufen wir die Polizei.« Diego mustert sie grimmig. »Die stehen sowieso schon vor dem Haus. Ich weiß nicht, was Sie geplant haben, aber es wird nicht klappen! Besser, Sie ergeben sich jetzt, vielleicht wirkt sich das strafmindernd aus.«
    Andrea wirft ihm einen Blick zu und verschwindet wortlos im einzigen anderen Zimmer im Erdgeschoss, sie hören, wie ein Schlüssel umgedreht wird.
    »Was soll denn das jetzt?«, fragt Sebastian verwirrt, aber Diego achtet nicht auf ihn.
    »Lu, bist du da drin?«, ruft er voller Panik, und als niemand antwortet, nimmt er Anlauf und zertrümmert mit seiner Schulter die Tür. Fassungslos sehen sich Sebastian und Diego an. Andrea sitzt neben einem Mann, dessen Gesicht von grausamen Brandnarben entstellt ist, und streichelt ihm über seine bandagierte Hand. Sonst ist niemand in dem Raum.
    »Was jetzt?«, fragt Sebastian.
    »Du läufst nach draußen und sagst der Polizei Bescheid, ich durchsuche das Haus.«
    Diego läuft die Treppe nach oben, findet dort aber nur ein schäbiges Badezimmer und ein kahles Schlafzimmer. Auf dem Bett liegen zwei gepackte Koffer, was ihn in der Annahme bestärkt, dass er richtig liegt. Andrea hat das Geld genommen und wollte flüchten. Er rennt die Treppe nach unten in den Keller, der genauso schmal und verwinkelt ist wie das Obergeschoss.
    Er ruft nach Lu, was in dem gefliesten Keller ein leichtes Echo erzeugt, aber niemand antwortet. Er öffnet jede Tür und stößt auf einen Vorratskeller mit Regalen voller altmodischer Einmachgläser wie aus einem anderen Jahrhundert und einer laut brummenden Kühltruhe mit einem Schloss. Mit Schaudern denkt er an die Lasagne, die er vorhin mit Sebastian gegessen hat. Lasagne, gekocht von der Hand einer hasserfüllten Kidnapperin.
    Er läuft weiter und durchsucht den modernen Heizungskeller, der ihn an Ida in den Armen der alten Frau erinnert und seine Angst noch vergrößert. Dann den letzten Raum mit Waschmaschine und Trockner und einem Wäscheständer. Er schaut sogar in die Trommeln. Aber nirgends eine Spur von Lu.
    Verdammt, er hat etwas übersehen, aber was? Sie muss hier irgendwo sein! Noch einmal in den Waschkeller, den Heizungskeller und zurück in den Vorratskeller. Diesmal hört er ein Geräusch. Er hält die Luft an und konzentriert sich. Seine Sinne sind überscharf, er riecht plötzlich den Staub, den widerlichen Weichspüler, hört das leise Knacksen der Holzregale, das elektrische Summen der Truhe. »Lu…«, murmelt er, wie um sich selbst Mut zuzusprechen,
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