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Der sueße Kuss der Luege

Der sueße Kuss der Luege

Titel: Der sueße Kuss der Luege
Autoren: Beatrix Gurian
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mich endlich, an den Punkt zurückzugehen, an dem alles begann.
    Die Beamten haben mir erklärt, wie wichtig es ist, dass ich mich genau an die Reihenfolge halte, in der es passiert ist. Auch scheinbar Nebensächliches soll ich erwähnen, denn irgendwo in meiner Geschichte, so behauptet jedenfalls die Kriminaldirektorin Rolfs, könnte der Schlüssel zu ihrer Rettung verborgen sein, und nur wenn ich mich beeile, hat sie eine Chance zu überleben.
    Also, wie ich jetzt weiß, begann das alles schon vor achtunddreißig Tagen, nämlich am 1. Mai, als Sebastian und ich uns das weinrote Jaguarcabrio von Christian ausliehen, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen. Aber natürlich hatte ich damals nicht die leiseste Ahnung, welches Grauen sich daraus ergeben würde…
    »Geil, oder?« Mein Bruder Sebastian, der meistens viel zu cool ist, um jemals mehr als »Jep« oder »Äh« oder »Uh« zu sagen, ist ganz aus dem Häuschen, drückt noch stärker aufs Gaspedal und rast die Landstraße Richtung Darmstadt entlang. Die Rapsfelder, die mit der Sonne fast schon brutal gelb um die Wette leuchten, fliegen nur so an uns vorbei und meine langen Haare flattern im Wind wie eine Fahne. In meinem Bauch spüre ich ein unbestimmtes Glücksgefühl, alles ist so frisch, alles scheint möglich, dicke Blütenpollen schweben durch die Luft, der Duft von Flieder und frisch umgegrabener Erde steigt mir in die Nase, während wir in Christians Luxuskarosse leise surrend durch die Landschaft jagen.
    Christian ist unser ältester Bruder und irgendein Oberbossmanagerheadofchiefirgendwas bei der Money-Bank in Frankfurt, wo wir alle wohnen. Christian liebt seinen Drittwagen so sehr, dass er ihn nur aus der Garage holt, wenn die Sonne scheint und sein Oldtimer ganz sicher nicht von Regentropfen ruiniert werden kann. Er würde ausrasten, wenn er uns sehen könnte, kann er aber nicht, denn er ist gerade auf wichtigen Terminen in New York und seine Familie hat er mitgenommen, weil das einen besseren Eindruck macht. Das ist ihm wichtig, meinem Bruder Christian. Eindruck schinden.
    Basti, der neben mir am Steuer sitzt, ist der jüngere meiner beiden Brüder und das genaue Gegenteil von Christian. Er will Schauspieler werden und findet Ausdruck viel wichtiger als Eindruck. Das hat ihn aber heute nicht daran gehindert, Christians Ray Ban aus dem Handschuhfach zu kramen und aufzusetzen.
    »Lass mich auch mal fahren«, bettele ich, schließlich habe ich schon den Führerschein auf Probe.
    »Viel zu riskant!«
    »Biiitteeee!« Ich versuche es mit meinem süßesten Arme-kleine-Schwestern-Ton.
    Basti wirft mir einen genervten Blick zu, ohne das Tempo zu verringern. »Erst wenn du den richtigen Lappen hast.« Er wird etwas langsamer, damit er einer Rennradfahrerin in aller Ruhe auf ihre langen Beine starren kann.
    »Spießer!« Während ich beleidigt überlege, wie ich ihn umstimmen könnte, sehe ich von Weitem in einem seitlichen Feldweg ein Polizeiauto, das Basti noch nicht entdeckt hat, weil er sich gerade zu den Mikro-Shorts der Radfahrerin hinaufgearbeitet hat.
    »Basti, schau lieber nach links vorne, da stehen nämlich Polizisten und winken uns mit einer Kelle.«
    Sebastian bremst so stark, dass mein Oberkörper fest in den Gurt gequetscht wird und ich reflexartig die Hände gegen das Handschuhfach stütze.
    »Verdammt aber auch! Bullen! Am Feiertag den Leuten auflauern, haben die denn sonst nichts zu tun? Müssen die keine echten Verbrecher jagen? Lu, hast du irgendwo was blitzen sehen, eine Kamera oder so?«
    »Nein, aber ich hab auch nicht drauf geachtet.«
    Basti fährt neben das Polizeiauto. »Du sagst nix, ist das klar?«, zischt er mir zu und ich frage mich, warum er dermaßen nervös ist. Hat er von der gestrigen Walpurgisnachtparty vielleicht noch irgendwelches Dope in den Adern, das man bei einem Röhrchentest entdecken würde?
    Ein überraschend junger Typ in Uniform, dessen schwarze Haare üppig unter der Schirmmütze herausquellen, beugt sich mit missbilligendem Kopfschütteln zu Sebastian. Dabei fällt sein Blick auf mich und ein Ausdruck tritt in seine Augen, den ich nicht deuten kann. Überraschung? Oder ist das etwa… Bewunderung? Jedenfalls zuckt jetzt ein verblüfftes Lächeln über sein markantes Gesicht und ich fühle mich, als wäre ich ein Filmstar, dem man gerade den roten Teppich ausgerollt hat. Er muss sich räuspern.
    Basti schaut mich ungläubig von der Seite an. Mein Anblick hat noch nie jemanden so beeindruckt. Ich bin der mollige Typ
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