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Der stumme Tod

Der stumme Tod

Titel: Der stumme Tod
Autoren: Volker Kutscher
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Fotoapparat«, meinte Henning, »passt nicht in den Kofferraum von diesem Scheiß-Opel!«
    »Ins Mordauto hätte er gepasst!«
    Henning zuckte entschuldigend die Achseln. »Das braucht Böhm«, sagte er.
    »Um damit zu Aschinger zu fahren, oder was?«
    Henning lachte geflissentlich, wie es von seinem Dienstrang erwartet wurde, wenn ein Kommissar Witze riss. Kaum hatte Czerwinski wieder auf dem Beifahrersitz Platz genommen, gab der Kriminalassistent Gas. Mit quietschenden Reifen wendete der Opel und wechselte auf die Gegenfahrbahn. Rath stieß sich den Kopf am Verdeckschanier und fluchte. Als das Auto in die Joachimsthaler Straße einbog, meinte er, Kathis roten Wintermantel im Rückspiegel zu erkennen.

Kapitel 4
    Das Filmatelier lag ganz in der Nähe der Pferderennbahn. Henning parkte gleich neben dem sandfarbenen Buick, der schon auf dem Hof stand. Gräf hatte sich beeilt; die Aussicht, etwas anderes zu bearbeiten als diesen deprimierenden Suizid, und sei es nur ein einfacher Unfall, schien ihn beflügelt zu haben. Immerhin ein Unfall in einem Filmatelier. Vielleicht liefen sie ja Henny Porten über den Weg.
    Eine lange Backsteinmauer säumte das Gelände. Das eigentliche Atelier erhob sich etwas abseits der Straße und sah aus wie ein zu groß geratenes Gewächshaus, ein Gebirge aus Glas, das inmitten der schmucklosen preußischen Industriearchitektur dieser Gegend etwas deplatziert wirkte. Am Eingang stand ein Schupo vom 202. Revier Wache, so dezent, dass man die blaue Uniform von der Straße aus nicht sehen konnte.
    »Hier entlang, die Herren«, sagte er, als Rath seine Marke zückte, und zeigte auf eine große Stahltür. »Ihr Kollege ist schon drinnen.«
    »Was ist denn passiert?«, fragte Rath. »Wir wissen nur von einem Unfall.«
    »'ne Schauspieler in hat's erwischt. Mitten in den Dreharbeiten.
    Mehr weeß ick ooch nich.«
    Hinter Rath keuchte es. Henning mühte sich unter dem Fotoapparat ab, den er aus dem Opel gewuchtet hatte. Der Schupo öffnete die Stahltür, und der schmächtige Kriminalassistent manövrierte die Kamera mit dem sperrigen Stativ hindurch. Rath und Czerwinski folgten ihm.
    Von den riesigen Fenstern, die das Gebäude von außen wie ein Tropenhaus wirken ließen, war hier drinnen nichts mehr zu sehen, schwere Tücher hingen unter der Decke, auch die Wände waren komplett mit Stoffbahnen verkleidet. Der schwer bepackte Henning musste aufpassen, dass er nicht stolperte, überall schlängelten sich Kabel über den Boden, andere waren quer durch den Raum gespannt. Rath bewegte sich vorsichtig durch den Kabeldschungel und schaute sich um. Alles hier war vollgestopft mit technischem Gerät. Scheinwerfer auf Stativen, dazwischen ein verglaster Kasten, der an einen schmucklosen Beichtstuhl erinnerte. Hinter der dicken, aber blitzblank geputzten Glasscheibe erkannte Rath die Silhouette einer Filmkamera. Eine zweite Kamera stand mitsamt Stativ auf einem Wagen, eingekapselt in ein schweres Metallgehäuse, aus dem nur noch das Objektiv herauslugte. Daneben ein futuristisch aussehendes Schaltpult mit unzähligen Reglern, Röhren und blinkenden Lämpchen, auf dem ein Kopfhörer lag. Ein dickes Kabel führte von diesem Pult nach hinten, dünnere Kabel verbanden es mit einer Art Galgen, an dem zwei silbrig-schwarze Mikrofone hingen, die wie zwei fette Spinnen über einem Salon schwebten, dessen Boden von Kabeln und Technik komplett freigehalten war: teures Parkett, dunkle Kirschholzmöbel, sogar ein Kamin - es sah aus, als habe sich ein elegantes Hotelzimmer in die falsche Gegend verirrt. Ebenso deplatziert wirkte die Menschentraube inmitten der Eleganz: hemdsärmeliges Räuberzivil neben grauen und weißen Arbeitskitteln. Der einzige Mensch, der einen zu dieser Umgebung passenden Abendanzug trug, saß etwas abseits auf einem der Klappstühle, die rings um das Parkett zwischen Scheinwerferstativen und Kabelsträngen standen, ein blonder Mann, der sein Gesicht in den Armen verborgen hatte. Eine junge Frau in mausgrauem Kostüm schien ihn trösten zu wollen, sie hatte sich über ihn gebeugt und drückte seinen Kopf an ihren grauen Bauch. Ab und zu schluchzte der Mann laut auf, das einzige vernehmbare Geräusch hier, denn in der Traube auf dem Parkett sprachen alle so leise, als werde hier tatsächlich noch ein Tonfilm gedreht, wie es das Warnschild draußen über der Tür beharrlich blinkend verkündete.
    Rath drängte sich hinter Henning an einem sperrigen Scheinwerferstativ vorbei auf die Szene. Er nickte
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