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Der Strand von Falesa

Der Strand von Falesa

Titel: Der Strand von Falesa
Autoren: Robert Louis Stevenson
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und Guaven und Farnkräuter in Massen. Gleich gegenüber beginnt der richtige Wald, und zwar ein Hochwald: Die Bäume stehen hoch wie Schiffsmasten, und Lianen hängen herunter wie Schiffstakelungen, und eklige Orchideen wachsen dazwischen wie Pilze. Der Boden, der nicht von Unterholz bedeckt war, sah aus wie eine Anhäufung von Felsblöcken. Ich sah viele grüne Tauben, die ich hätte schießen können, aber ich war ja auf etwas anderes aus als auf Tauben. Zahlreiche Schmetterlinge flatterten über dem Boden auf und ab wie totes Laub; zuweilen hörte ich einen Vogelruf, zuweilen den Wind sausen und immerzu die See, die an den Strand donnerte.
    Aber wie sonderbar der Ort war, das ist schwer zu beschreiben, es sei denn, der Zuhörer wäre schon selber einmal in einem Urwald gewesen. Am hellsten Sonnentage ist es immer dämmerig darin. Nirgends sieht man ein Ende; wohin man blickt, da schießt der Wald empor, und ein Busch fügt sich an den anderen wie die Finger an Ihrer Hand; und wenn man lauscht, hört man immer etwas Neues; Menschen sprechen, Kinder lachen, die Schläge einer Axt in weiter Ferne und zuweilen eine Art von schnellem verstohlenem Huschen ganz nahe, daß man auffährt und nach seinen Waffen greift.
    Es ist ganz schön und gut, daß man sich selber sagt, man sei ja allein, nur Bäume und Vögel um einen herum – man kann es doch nicht glauben: Wohin man sich auch wendet, der ganze Wald scheint lebendig zu sein und einen anzuschauen. Glauben Sie nicht, Umas Faseleien hätten auf mich eingewirkt – auf Kanakengerede gebe ich keinen Heller; solche Gefühle sind im Busch natürlich und damit basta.
    Als ich in die Nähe des Berggipfels kam – denn der Waldboden geht an dieser Stelle steil aufwärts wie eine Leiter –, da begann über mir der Wind zu sausen, und die Baumblätter bewegten sich hin und her, und zwischen ihnen hindurch schien die Sonne herein. Dies gefiel mir besser: Es war ein gleichmäßiges, andauerndes Geräusch, keine Töne, die einem plötzlich Angst machen. Nun, ich war an eine Stelle gekommen, wo ein dichtes Unterholz von sogenannten wilden Kokosnüssen stand – sehr hübsch sehen die Büsche aus mit ihren tabakroten Früchten – da kam in dem Wind eine Art von Singen an mein Ohr, daß ich dachte: So was habe ich in meinem Leben nicht gehört. Es war ja ganz nett, zu mir selber zu sagen, das seien nur die Zweige – ich wußte besser, daß es nicht die Zweige waren! Oder mir zu sagen, es sei ein Vogel – ich kannte keinen Vogel, der so sang! Der Ton erhob sich und schwoll an und verklang allmählich und schwoll wieder an. Jetzt dachte ich, es hörte sich an, wie wenn ein Mensch weine, nur war es ein sanftes, wohlklingendes Weinen; dann wieder kam es mir vor wie Harfenton. Soviel aber war sicher: Es klang so süß, daß es an einem solchen Ort nichts Natürliches sein konnte. Lachen Sie nur! Aber ich gestehe offen: Mir kamen die sechs jungen Weiber in den Sinn mit ihren scharlachroten Halsbändern, die aus der Höhle bei Fanga-anaana herauskamen, und ich fragte mich, ob sie wohl auch so gesungen hätten. Wir lachen über die Kanaken und ihre abergläubischen Einbildungen; aber sehen Sie nur, wie viele Händler daran glauben – glänzend erzogene Weiße, die daheim Buchhalter gewesen sind (wenigstens einige von ihnen) und Geschäftsangestellte. Ich bin der Meinung, ein Aberglaube wächst wie Unkraut; und als ich da so stand und auf diese klagenden Töne horchte, zitterte ich in meinen Schuhen.
    Sie mögen mich einen Feigling nennen, weil ich solche Angst hatte; immerhin traute ich mir soviel Tapferkeit zu, vorwärts zu gehen. Aber ich ging mächtig vorsichtig, den Hahn meiner Flinte gespannt, um mich spähend wie ein Jäger, vollkommen darauf gefaßt, ein hübsches junges Weib irgendwo im Busch sitzen zu sehen, und vollkommen entschlossen, wenn ich eine sähe, eine Ladung Rehposten auf sie loszubrennen. Und richtig – ich war noch nicht weit gegangen, da bemerkte ich was Sonderbares. Ein starker Windstoß fuhr durch die Wipfel, die Blätter vor mir öffneten sich plötzlich, und ich sah eine Sekunde lang etwas in einem Baum hängen. Im Nu war es wieder fort, da der Windstoß vorüber war und die Blätter sich wieder schlossen. Ich sage Ihnen die Wahrheit: Ich war vollständig darauf gefaßt, einen Aitu zu sehen; und wenn das Ding wie ein Schwein oder wie ein Weib ausgesehen hätte, hätte es mich nicht so erschreckt. Das Schlimme war, daß es etwas Viereckiges zu sein schien, und
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