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Der stille Schrei der Toten

Der stille Schrei der Toten

Titel: Der stille Schrei der Toten
Autoren: Linda Ladd
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»Hätte ewig dauern können, bis jemand die Leiche findet, wenn die Lady von nebenan nicht eine Runde schwimmen gegangen wäre.«
    Die rückwärtige Veranda erstreckte sich weit in den See hinaus. Eine Treppe führte zu einer tiefer gelegenen Bootsanlegestelle hinunter. Ich bereitete mich innerlich vor. Von L. A. her war mir der Anblick von Blut und verspritzter Gehirnmasse weitgehend vertraut, sodass mir bei Terminen am Tatort nicht schlecht wurde, und auch der unvergleichliche Gestank verfaulender Leichen war mir nicht neu, die Art und Weise, wie er sich in den Haaren und der Haut festsetzte, bis ich ihn kaum mehr wegwaschen konnte. Im Gegensatz zu manchen Polizeibeamten und Gerichtsmedizinern jedoch konnte ich tote Körper nicht nur wie ein Stück Fleisch betrachten oder als Lagerstätten für Beweismaterial; für mich waren es Ehefrauen, Mütter, Töchter, Menschen mit trauernden Hinterbliebenen.
    Mordopfer durchlebten Schreckliches in ihren letzten Momenten auf dieser Welt, unsägliche Schmerzen und unvorstellbare Ängste. Niemand verdiente so etwas, und nun würden Bud und ich und andere abgehärtete Ermittler Sylvie Borders Körper untersuchen, daran herumhantieren und in ihn eindringen und ihr ganzes Leben sezieren, um herauszufinden, wer, was, warum.
    Ein Rettungsboot der Wasserwache durchpflügte mit ohrenbetäubendem Lärm die ruhige Seeoberfläche und kam direkt auf uns zu. Es war nicht mehr weit von der Veranda entfernt, da stellte der Mann am Steuer den Motor ab, und es wurde urplötzlich still. Nur noch das Plätschern und Gurgeln des Wassers war zu hören, dessen Wellen sich an den Pfählen unterhalb des Verandabodens brachen. Einer der Männer, ein Taucher bei der Staatspatrouille, war im letzten Monat nach einem Selbstmord von einer Brücke eingesetzt gewesen. Die anderen kannte ich nicht. »Sieht mir nach einer Bergungsaktion aus.«
    Bud nahm seine teure, verspiegelte Sonnenbrille ab und steckte sie in seine Brusttasche, während das Rettungsteam Taucheranzüge anlegte. »Wirf mal einen Blick nach unten und verrat mir, welcher Irre zu so etwas fähig ist.«
    Ich beugte mich über die hüfthohe Balustrade und sah auf das Wasser neben der eine Etage tiefer liegenden Bootsanlegestelle. Der See war an der Stelle ungefähr drei Meter tief und von den Bugwellen des Rettungsboots leicht aufgewühlt, aber nicht so stark, dass es meine Sicht behinderte.
    Sylvie Border saß aufrecht auf einem im schlammigen Untergrund eingesunkenen Stuhl. Sie war vollkommen unbekleidet, und ihre Haut glänzte unter Wasser blässlich weiß, beinahe silberfarben. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, aber ihre Haare waberten in der Strömung auf und ab. Der Killer hatte nicht nur sein Opfer auf einem Stuhl versenkt, sondern auch einen Tisch, Geschirrteile und Besteck, die kompletten Gedecke für drei Personen, als erwartet Sylvie auf dem Grund des Sees Gäste zum Abendessen.
    Als ein Schwarzbarsch durch die langen, wehenden Haarsträhnen schwamm und an der rechten Wange des Opfers zu knabbern anfing, richtete ich mich auf und fuhr mir mit den Händen über das Gesicht. »Eindeutig ein Geistesgestörter. Jemanden so zurückzulassen, an einem Tisch sitzend. Was er wohl damit sagen wollte?«
    Bud packte einen Streifen Kaugummi aus, riss eine Hälfte davon ab und steckte sie in den Mund. »Dass er ein krankes Arschloch ist, das wollte er damit sagen. Stell dir das mal vor, Claire. Um das alles zu arrangieren, muss er eine ganze Weile mit ihr unter Wasser gewesen sein. Sogar Gabeln und Brotteller hat er in die Unterwasserwelt verpflanzt.«
    Ich wagte einen weiteren Blick in die Tiefe. Wer auch immer dafür verantwortlich war, wusste genau darüber Bescheid, wie man einen Tisch richtig deckt. Der Killer musste eine Menge Zeit in dieser trüben und lautlosen Welt verbracht haben, um Besteck und Kelchgläser so sorgfältig zu arrangieren. »Er hat sie am Stuhl festgebunden.« Ich blinzelte leicht, um zu sehen, wo er sie gefesselt hatte.
    »Richtig, Ma’am.« Bud zeigte ins Wasser. »An den Handgelenken, den Waden, am Hals und an den Fußgelenken. Silberfarbenes Isolierband, und nicht gerade wenig.«
    Ich sog hörbar Luft ein und richtete meinen Blick in Richtung Yachthafen, während ich versuchte, die makabre Vorstellung loszuwerden, wie der Mörder immer wieder aufs Neue zu der Leiche hinuntertauchte. »Weiß man was von der Lady, die die Leiche gefunden hat?«
    »Die Frau eines Neurochirurgen aus New York, Jüdin und reich genug, um
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