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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy
Autoren: Hammesfahr Petra
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Aber er kam nicht, und ich wollte es doch nicht gelöst haben. Mit dem Tod unter einem Dach gelebt, ein entsetzlicher Gedanke. Dann der Freitag. Es war schon fast Gewohnheit, Nicole mit verschlafenem Gesicht und Quengelei am Frühstückstisch sitzen zu sehen. Sie überließ es mir, ihre Badetasche zu packen, gab allerdings die Anweisungen dazu.
    »Hast du auch mein Handtuch reingetan? Und den Badeanzug? Den Bikini hatte ich letzte Woche an. Der ist mir zu eng geworden. Ich muß einen neuen haben.« Auch sonst alles normal. Das Gespräch mit Günther in der Mittagspause. Ich habe Sehnsucht nach dir. Herr Genardy war tatsächlich in seiner alten Wohnung. Ich will nicht immer nur über Herrn Genardy mit dir reden. Ich bin müde. Und erwachsen geworden. Ich habe es geschafft, und du bemerkst es nicht einmal. Es interessiert mich nicht, ob die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift vorbereitet. Ich will auch nicht wissen, ob die Standesämter Auskunft geben. Ich will dich. Und wenn du meinst, du bist deiner Exfrau etwas schuldig, dann zahlst du eben weiter für sie. Für mich brauchst du nicht zahlen. Ich komme allein zurecht. Und Herr Genardy war einmal verheiratet gewesen, vor endlos langen Jahren. Eine Tochter hatte er auch. Das weiß ich doch alles schon.
    »Sie ist in deinem Alter«, erklärte Günther eifrig.
    »Aber sie lebt nicht in Norddeutschland, sondern hier in Köln. Sie ist nie aus der Stadt weggewesen, seine Frau auch nicht. Die hat wieder geheiratet, und Genardys Tochter bekam dann den Namen des Stiefvaters. Dettov hat wahre Fleißarbeit geleistet, sage ich dir. Sie ist verheiratet, Genardys Tochter meine ich. Dettov will sehen, ob sie bereit ist, morgen mit uns zu reden, am Nachmittag vielleicht. Er hat auch die Adresse seiner geschiedenen Frau ausfindig gemacht. Aber die will sich nicht äußern. Weißt du, was sie am Telefon zu Dettov gesagt hat? Sie hat den Namen Genardy aus ihrem Gedächtnis gestrichen und möchte durch nichts und niemanden an ihn erinnert werden.« Schön, gut, freut mich für dich. Aber ich bin immer noch müde. Und ein bißchen weich innen drin. Ich würde mich jetzt gerne in ein Bett legen, in ein richtiges Bett, weißt du, wo Platz genug ist für uns beide. Und dann mit dir schlafen, richtig schlafen.
    »Die Sache mit dem Umzug verschieben wir um ein paar Tage, einverstanden? Ich habe mir für Montag und Dienstag Urlaub genommen. Ich erledige das, du kannst dich darauf verlassen. Ich komme morgen, wann genau weiß ich noch nicht. Wahrscheinlich so wie üblich, dann sprechen wir noch einmal in aller Ruhe. Vielleicht habe ich dann ja noch mehr Neuigkeiten. Vorausgesetzt, Genardys Tochter ist bereit, mit uns zu reden. Alles okay bei dir?«
    »Ja.« Noch so ein Abend. Den Schlüssel in der Haustür stecken lassen. Horchen, bis die Ohren davon dröhnen. Angst. Ja, ich hatte Angst, ich hatte entsetzliche Angst. Ich hatte das Gefühl, daß mir etwas Entsetzliches bevorstand. Die Nacht war ein einziges Fiasko, ein bißchen dösen, ein paar wirre Bilder. Hedwig mit meinem Joghurtbecher neben einem weißen Sarg mitten in Nicoles ehemaligem Kinderzimmer, das jetzt noch das Schlafzimmer von Herrn Genardy war. Und die Kinderfotos waren oben auf dem Sarg verteilt. Es war auch eins von Mara dabei. Das Grab auf dem Friedhof mit dem schwarzen Stein am Kopfende und die goldene Inschrift auf dem Stein. Unvergessen. Franz Pelzer. Und Anke neben dem Grab mit einem Monsterheftchen in der linken Hand, mit ihrem prallen Leib, mit Mara auf dem rechten Arm. Und Mara hielt sich eine Milchflasche an den Mund und saugte aus Leibeskräften. Aber es war gar keine Milchflasche, wie ich dann erkannte. Und Mara blutete, ihr kurzer Hals war eine einzige große Wunde. Wie konntest du das zulassen, fragte Anke. Dann sah ich die Hand, die sich aus der Erde wühlte, die Seifenreste unter den Fingernägeln. Ich habe dir immer gesagt, Franz war ein Trampel, sagte Anke. Gegen Morgen wurden die Bilder blasser, das Laken war schweißnaß. Mein Haar klebte am Kopf. Ich war so müde. Lauwarm und kalt im Wechsel die Dusche. Zwei Tassen Kaffee zum Frühstück, die auf der Zunge klebten, hungrig war ich nicht. Ich aß nur aus Gewohnheit eine halbe Scheibe Brot mit Erdbeerkonfitüre. Nicole verließ das Haus mit mir zusammen.
    »Bis heute nachmittag, Mama.« Sie lief winkend auf die Ecke zu. Da hatte ich das Gefühl, daß ich ihr nachlaufen und sie mitnehmen müsse, mit mir nach Köln. Spiel ein bißchen hinter der Käsetheke,
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