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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy
Autoren: Hammesfahr Petra
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Bekanntschaft gemacht hatte. Eine Dame in seinem Alter, eine sehr gepflegte Erscheinung. Mutter wäre bestimmt begeistert gewesen, hätte sie zuhören dürfen, wie Herr Genardy sich in Lobeshymnen über sie erging, um ein paar Polizisten Sand in die Augen zu streuen. Kurz nach drei verließ Wolfgang Beer das Zimmer, um zu telefonieren. Er sagte mir nicht, wen er anrufen wollte, ich wußte es auch so. Ich wußte, daß jetzt ein paar Polizisten losfahren würden. Zu dieser Wohnung über der Tierhandlung. Und daß sie ihn mitnehmen würden, wenn er da war. Ein bißchen war ich erleichtert, und ein bißchen verschwand die Erleichterung unter dem Druck der Gewißheit, mir stand noch ein Tod bevor. Wen wollte der Braune haben, Hedwig? Die Ärzte hatten gesagt, sie käme durch. Sie sei über den Berg. Sie brauche jetzt nur Zuspruch, einen Halt, jemanden, der ihr beistand, wenn sie erst wieder aufwachte. Aber sie wachte nicht auf. Um halb fünf verabschiedete ich mich. Wolfgang Beer zeigte Verständnis, daß ich mich auch um meine Tochter kümmern mußte. Ich erklärte, daß ich die Straßenbahn und den Zug nehmen würde, daß er getrost bei Hedwig bleiben könne.
    »Ich werde ihr sagen, daß Sie die ganze Zeit hier waren, wenn sie aufwacht.« Wenn sie aufwacht, dachte ich, arme Hedwig. Kurz vor fünf war ich am Bahnhof. Dann saß ich im Zug, dann im Bus, dann stand ich auf der Straße. Es hatte alles etwas länger gedauert als sonst. Samstags sieht es mit dem Nahverkehr nicht so rosig aus. Und während ich mich auf den Weg zu Mutter machte, stieg Nicole in eine Badewanne. Ich weiß es so genau, weil sie das noch erzählen konnte. Das noch und auch, daß Herr Genardy ihr ein Glas Orangensaft ins Bad brachte. Es war nicht irgendein Mixgetränk, keine mit Wasser und Zucker vermischte Brühe. Es war reiner Orangensaft, aus Konzentrat hergestellt, mit Stückchen vom Fruchtfleisch darin und dem typisch herben Geschmack. Weil Frau Humperts ihr doch beigebracht hatte, wie wichtig gesunde Zähne sind. Den Rest erzählte Mutter. Daß Herr Genardy so gegen vier zu ihr gekommen war. Den Polizisten, die nach Wolfgang Beers Anruf aufgebrochen waren, um sich noch einmal ausführlich mit ihm zu unterhalten, ganz knapp entwischt. Und die wußten dann nicht, wo sie nach ihm suchen sollten. Sie waren wohl mal kurz bei mir an der Tür. Das erfuhr ich später von Frau Hofmeister, die den Gehweg gefegt und sie gesehen hatte, zwei Männer in Zivil und ein Auto mit Kölner Kennzeichen. Zu der Zeit saß Herr Genardy noch ganz gemütlich im Wohnzimmer meiner Mutter. Einen Kaffee getrunken, ein bißchen geredet. Über Mara, die ganz friedlich in einer Zimmerecke gespielt hatte, bis Herr Genardy erschien. Die ihn dann immer wieder fragte:
    »Pulla?« So daß Herr Genardy sich zu einer Erklärung genötigt sah. Seine Schwiegertochter hatte Mara ein wenig Limonade aus einer Flasche trinken lassen. Ihm persönlich war es ja nicht recht gewesen, man sollte einem Kind erst gar nicht solche Unarten beibringen, nicht wahr? Seine Schwiegertochter hatte manchmal recht legere Ansichten. Aber daß die Kleine sich noch so genau daran erinnerte, wo es doch wirklich nur ein winziges Schlückchen gewesen war. Nicole saß dabei und hörte zu. Dann mußte Herr Genardy aufbrechen. Er hatte noch etwas für seinen Sohn zu erledigen, Fotos abliefern bei einem Gestüt. Er zeigte Mutter die Bilder, schöne Aufnahmen in Postkartengröße, die Rückseite war auch gemacht wie eine Postkarte. Es waren wohl Postkarten, die kann man überall kaufen, mit kleinen Katzen darauf, mit Hunden oder eben mit Pferden. Aber Mutter war zu blöd, das zu begreifen. Und Nicole, mein Gott, sie war doch erst acht, wie hätte sie es denn begreifen sollen? Ich hatte sie doch nicht einmal richtig gewarnt. Ich hatte ihr nie erklärt, was genau ein erwachsener Mann tut, wenn er sich an einem Kind vergreift. Sie hat trotzdem sehr lange gezögert, ehe sie ihn fragte, ob dort, wo er jetzt hinführe, richtige Pferde seien. Und sie sagte wohl noch, daß sie Pferde über alles liebt, daß sie gern mal auf einem richtigen Pferd sitzen würde. Als ob er das nicht längst gewußt hätte. Ja, und Mutter hatte nichts dagegen. Warum auch, wo sie sich doch wieder so gut mit ihm unterhalten hatte. Auch über mich und meinen Bekannten, der mir anscheinend einen Floh ins Ohr gesetzt hatte. Mutter gibt es nicht zu, das wird sie niemals tun. Aber ich denke, sie hat ihn vor Günther gewarnt. Und vielleicht dachte Herr
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