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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy
Autoren: Hammesfahr Petra
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mein Schatz, und paß auf, daß der Abteilungsleiter dich nicht sieht. Er mag es nicht, wenn wir unsere Kinder mitbringen. Was ist das jetzt wieder? Die Fahrt im Bus ein Alptraum. Du hättest Nicole sagen müssen, daß sie auf gar keinen Fall nach Hause gehen darf. Daß sie bei den Kollings auf dich warten muß. Sie kann nicht nach Hause gehen, sie kann doch nicht rein, du hast ihr den Schlüssel weggenommen. Sei still! Sei still, es kann überhaupt nichts passieren. Aber es war schon etwas passiert.
    Hedwig kam nicht zur Arbeit. Der Abteilungsleiter regte sich nicht weiter darüber auf. Er bewunderte Hedwig für die paar Tage, die sie durchgehalten hatte. In der Frühstückspause versuchte ich, bei ihr anzurufen. Es nahm niemand ab. Aber sie mußte da sein. Gestern hatte sie gesagt:
    »Bis morgen.«
    »Bis heute nachmittag, Mama«, hatte Nicole gerufen. Ich suchte Wolfgang Beers Nummer aus dem Telefonbuch. Bei ihm hob auch niemand den Hörer ab. Die letzte Möglichkeit, das Polizeipräsidium. Es war sehr dringend, weil meine Großmutter mir die ganze Zeit etwas von dem Hund erzählte, der einem das Kind genommen hatte.
    »Mein Name ist Pelzer. Ich hätte gerne Herrn Beer gesprochen, Wolfgang Beer.« Und warten. Mindestens einmal pro Sekunde sagte meine Großmutter:
    »Das überlebt man nicht.« Ein Mann meldete sich, ich verstand seinen Namen nicht. Noch einmal:
    »Mein Name ist Pelzer, ich hätte gerne Herrn Beer gesprochen.«
    »Ist für dich, Wolfgang«, rief der Mann in den Hintergrund. Und endlich hatte ich ihn in der Leitung.
    »Was ist mit Hedwig? Sie ist nicht zur Arbeit gekommen. Und sie geht nicht ans Telefon.« Wolfgang Beer mußte es ebenso fühlen wie ich. Er stieß einen Fluch aus, bedankte sich hastig bei mir. Während er auflegte, hörte ich ihn noch sagen:
    »Ich muß weg, eine dringende Sa…« Dann war die Leitung tot, mitten im Wort abgeschnitten. Geschnitten, dachte ich, die Pulsadern. Aber es waren nur die Tabletten gewesen. Kurz nach elf kam Nachricht von Wolfgang Beer aus einer Klinik. Hedwig hatte noch einmal Glück gehabt, auch wenn sie noch nicht wieder bei Bewußtsein war.
    »Ich hätte nicht gedacht, daß sie so was tut.« Wolfgang Beer war voller Vorwürfe gegen sich selbst.
    »Gestern abend kam sie mir sogar ein bißchen fröhlich vor. Sie hat gelacht. Sie hat mir erzählt, daß Sie sie mittags mit einem Joghurt gefüttert haben.« Gefüttert hatte ich sie gar nicht. Und außerdem:
    »Das war aber schon am Donnerstag.«
    »Ja, das hat sie auch erzählt. Es fiel ihr nur erst gestern abend wieder ein, und sie lachte darüber. Ein Löffelchen für Sigrid, ein Löffelchen für Wolfgang.« Mir war nach Schreien. Ich hatte Hedwig nicht gefüttert, und ich hatte das nicht laut ausgesprochen. Nur gedacht hatte ich es. Ein Löffelchen für Herrn Genardy, von dem alle Leute nur Gutes sagen. Und seine Frau hat ihn aus ihrem Gedächtnis gestrichen.
    »Hedwig sagte«, sprach Wolfgang Beer in meine Gedanken hinein, und es klang so sehr nach einem Schluchzen,»ist es denn schon so weit mit mir gekommen, daß ihr mich behandeln müßt wie ein kleines Kind?« Du würdest ein kleines Kind damit umbringen. Jetzt hatte Hedwig versucht, sich damit umzubringen. Limbatril.
    »Die Ärzte meinen, sie kommt durch«, flüstert Wolfgang Beer.
    »Sie muß etwa zwanzig von den Dingern geschluckt haben. Und ich Trottel hatte ihr auch noch Schlaftabletten besorgt, weil ich sie von diesem Teufelszeug runterbringen wollte. Die hat sie auch genommen, fünf Stück.«
    »Machen Sie sich keine Vorwürfe«, sagte ich,»das konnte doch niemand ahnen. Vielleicht hat sie es gar nicht mit Absicht gemacht. Vielleicht war es nur ein Versehen.« Aber an ein Versehen glaubte Wolfgang Beer nicht, ich eigentlich auch nicht. Kein Mensch schluckt aus Versehen fünfundzwanzig Tabletten.
    »Können Sie zu ihr, Frau Pelzer, wenn Sie gleich Feierabend haben? Ich hole Sie ab und bringe Sie hin. Ich fahre Sie auch heim.« Was versprichst du dir davon, Wolfgang Beer, mich neben Hedwigs Bett zu setzen? Was soll ich denn tun? Soll ich ihr wieder erzählen, daß sie ihre Tochter zu mir schicken kann?
    »Ja natürlich«, sagte ich. Und Nicole winkte mir von der Straßenecke aus noch einmal zu.
    »Bis heute nachmittag, Mama.« Ich rief gleich bei den Kollings an, sagte Bescheid, daß ich später heimkommen würde.
    »Wann genau, weiß ich noch nicht«, sagte ich.
    »Eine Kollegin hatte einen Unfall. Ich fahre jetzt ins Krankenhaus.« Herr Kolling
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