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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner
Autoren: Graham Greene
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Gesandtschaft am sichersten sein würde. Seit meinem Signal mußten die anderen ihre Pläne für den späteren Abend gefaßt haben: Pläne, die die Brücke nach Dakow einbezogen. Wie und warum, das war mir nicht klar. Pyle würde bestimmt nicht so leichtsinnig sein, nach Sonnenuntergang durch Dakow zu fahren, und unsere Seite der Brücke war von gut bewaffneter Polizei bewacht.
    »Heute rede immer nur ich«, sagte Pyle. »Ich weiß nicht, woran es liegt, aber irgendwie ist dieser Abend …«
    »Sprechen Sie nur weiter«, sagte ich. »Ich bin bloß nachdenklich gestimmt, das ist alles. Vielleicht sollten wir unser Dinner lieber ausfallen lassen.«
    »Nein, tun Sie das nicht. Ich habe das Gefühl gehabt, daß zwischen uns eine Wand steht, seit … nun …«
    »Seit Sie mir das Leben retteten«, ergänzte ich und vermochte den bitteren Schmerz der Wunde, die ich mir selbst zugefügt hatte, nicht zu verbergen.
    »Nein, das meinte ich nicht. Trotzdem: was für Gespräche führten wir doch in jener Nacht, nicht wahr? Als ob es unsere letzte sein sollte. Ich lernte viel über Sie, Thomas. Gut, ich teile Ihre Ansichten nicht, aber von Ihrem Standpunkt aus mag es richtig sein – sich nicht hineinziehen zu lassen. Und diesen Standpunkt haben Sie konsequent beibehalten. Selbst nachdem Ihnen das Bein zerschmettert worden ist, sind Sie neutral geblieben.«
    »Aber irgendwo gibt es immer einen entscheidenden Wendepunkt«, sagte ich. »Einen Augenblick der Gemütserregung …«
    »Den haben Sie noch nicht erreicht. Und ich bezweifle, ob Sie ihn je erreichen werden. Auch meine Haltung wird sich kaum ändern – es sei denn durch den Tod«, fügte er fröhlich hinzu.
    »Nicht einmal nach heute morgen? Könnte das einen Menschen nicht völlig umstimmen?«
    »Das waren nur Kriegsverluste«, sagte er. »Es war bedauerlich, aber man kann nicht immer sein Ziel treffen. Jedenfalls starben die Leute für die richtige Sache.«
    »Hätten Sie dasselbe gesagt, wenn es Ihre alte Amme mit dem Preiselbeerkuchen getroffen hätte?«
    Er überging meinen schwachen Hieb. »In gewissem Sinn könnte man behaupten, daß sie für die Sache der Demokratie gefallen sind.«
    »Ich wüßte nicht, wie ich das ins Vietnamesische übersetzen sollte.« Mit einemmal wurde ich unsagbar müde. Ich wünschte, er möge schnell fortgehen und sterben. Dann konnte ich das Leben von neuem beginnen – und zwar dort, wo ich war, bevor er erschien.
    »Sie werden mich wohl nie ernst nehmen, nicht wahr, Thomas«, beklagte er sich mit jener jungenhaften Heiterkeit, die er sich anscheinend ausgerechnet für diesen Abend aufgespart hatte. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag – Phuong ist im Kino – wie wäre es, wenn sie und ich den ganzen Abend zusammen verbringen? Ich habe nichts zu tun.« Es war, als schien ihn jemand von außen her anzuleiten, wie er seine Worte zu wählen hätte, um mir jede mögliche Ausflucht zu rauben. Er fuhr fort: »Warum gehen wir nicht ins ›Chalet‹? Ich bin seit jenem Abend nicht mehr dort gewesen. Man ißt dort genauso gut wie im ›Vieux Moulin‹, und Musik gibt es auch.«
    Ich sagte: »Ich möchte lieber nicht an jenen Abend erinnert werden.«
    »Verzeihung. Manchmal bin ich ein richtiger Tölpel, Thomas. Wie wär’s mit einem chinesischen Dinner drüben in Cholon?«
    »Um ein gutes zu bekommen, muß man vorausbestellen. Fürchten Sie sich denn vor dem ›Vieux Moulin‹? Es ist doch gut gesichert, und auf der Brücke steht immer Polizei. Sie würden doch nicht so närrisch sein, durch Dakow zu fahren, nicht wahr?«
    »Das ist nicht der Grund. Ich dachte mir nur, es wäre ein Spaß, sich einmal so richtig die Nacht um die Ohren zu schlagen.«
    Er machte eine Bewegung und stieß dabei sein Glas um, das auf den Boden fiel und zerbrach. »Scherben bringen Glück«, sagte er mechanisch. »Entschuldigen Sie, Thomas.« Ich begann, die Splitter aufzulesen und in den Aschenbecher zu legen. »Was sagen Sie zu meinem Vorschlag, Thomas?« Das zerbrochene Glas erinnerte mich an die Flaschen, die in der Bar des »Pavillon« ihren bunten Inhalt verströmt hatten. »Ich habe Phuong gewarnt, daß ich vielleicht mit Ihnen ausgehen werden.« Wie schlecht gewählt war doch das Wort »gewarnt«. Ich hob den letzten Glassplitter auf. »Ich habe eine Verabredung im ›Majestic‹«, sagte ich, »und vor neun kann ich nicht.«
    »Na, dann muß ich wohl oder übel ins Büro zurückgehen. Ich fürchte nur immer, daß man mich dort aufhalten wird.«
    Es konnte
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