Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner
Autoren: Graham Greene
Vom Netzwerk:
nicht schaden, ihm noch diese eine Chance zu geben. »Es spielt keine Rolle, wenn Sie später kommen. Sollten Sie wirklich aufgehalten werden, dann besuchen Sie mich nachher hier. Um zehn bin ich wieder daheim und warte auf Sie, falls es Ihnen mit dem Dinner nicht ausgehen sollte.«
    »Ich werde Sie verständigen …«
    »Nur keine Umstände. Entweder kommen Sie ins ›Vieux Moulin‹ oder wir treffen uns später hier.« Damit gab ich die Entscheidung an jenen Jemand zurück, an den ich nicht glaubte: Du kannst eingreifen, wenn Du willst; durch ein Telegramm auf seinem Schreibtisch, durch eine Weisung vom Gesandten; Du kannst nicht existieren, wenn Du nicht die Macht besitzt, die Zukunft zu ändern.
    »Gehen Sie jetzt, Pyle. Ich habe noch verschiedenes zu erledigen.« Ein seltsames Gefühl der Erschöpfung überkam mich, während ich ihn die Treppe hinabgehen und die Pfoten seines Hundes leise tappen hörte.

3
     
    Es gab keinen näheren Standplatz für Fahrradrikschas als in der Rue d’Ormay, als ich ausging. Also machte ich mich zu Fuß auf den Weg hinunter zum »Majestic«, wo ich eine Zeitlang stehenblieb und zusah, wie die amerikanischen Bomber ausgeladen wurden. Die Sonne war untergegangen, und die Arbeit ging im Schein von Bogenlampen vor sich. Es lag mir fern, mir ein Alibi zu verschaffen, doch ich hatte zu Pyle gesagt, ich würde ins »Majestic« gehen, und ich empfand eine unbegründete Abneigung dagegen, mehr zu lügen, als unbedingt erforderlich war.
    »Guten Abend, Fowler.« Es war Wilkins.
    »Guten Abend.«
    »Wie geht’s dem Bein?«
    »Wieder ganz normal.«
    »Haben sie eine gute Story eingereicht?«
    »Das habe ich Dominguez überlassen.«
    »Oho! Man sagte mir doch, Sie seien dabei gewesen.«
    »War ich auch. Aber der Platz ist heutzutage knapp bemessen. Die Redaktion braucht keine langen Meldungen.«
    »Ja, die Sache hat ihren Reiz verloren«, meinte Wilkins. »In den Tagen Russells und der alten Times hätten wir leben müssen. Depeschen mittels Ballon. Damals hatte man noch Zeit, der Phantasie freien Lauf zu lassen. Russell hätte sogar aus dem hier eine ganze Spalte gemacht: das Luxushotel, die Bomber, die Nacht bricht herein. Heutzutage bricht die Nacht nicht mehr herein – für so und soviel Piaster Worthonorar.« Hoch droben über uns klang im Nachthimmel leises Lachen auf: Jemand zerbrach ein Glas, wie Pyle es getan hatte. Wie Eiszapfen fiel der Klang auf uns herab. »›Die Lampen schienen über schönen Frauen und kühnen Männern‹«, zitierte Wilkins boshaft. »Haben Sie heute abend schon was vor, Fowler? Hätten Sie Lust zu einem kleinen Dinner?«
    »Ich bin schon zum Dinner verabredet. Im ›Vieux Moulin‹.«
    »Dann wünsche ich Ihnen gute Unterhaltung. Granger wird nämlich dort sein. Die Leute sollten eigene Granger-Abende ankündigen. Für jene, die eine Geräuschkulisse lieben.«
    Ich wünschte ihm eine gute Nacht und ging ins Kino nebenan – Errol Flynn – oder vielleicht war es Tyrone Power (ich weiß nicht, wie man die beiden auseinander hält, wenn sie Trikothosen tragen) – schwang sich an Seilen durch die Luft, sprang von Balkonen in die Tiefe und ritt ohne Sattel in eine Morgenröte in Technicolor. Er rettete eine Jungfrau und tötete seinen Feind und stand überhaupt unter einem Glücksstern. Es war das, was die Leute einen Film für große Jungen nennen. Aber das Bild von Oedipus, wie er mit blutenden Augäpfeln aus dem Palast in Theben tritt, wäre mit Sicherheit eine bessere Vorbereitung auf das heutige Leben. Keiner ist unter einem Glücksstern geboren. In Phat Diem und auf der Straße nach Tanyin hatte Pyle Glück gehabt; doch ein solches Glück hält nicht an, und die anderen hatten noch zwei Stunden Zeit, dafür zu sorgen, daß kein Glücksstern am Werk war. Neben mir saß ein französischer Soldat, die Hand im Schoß eines Mädchens. Ich beneidete ihn um die schlichte Einfalt seiner Freude oder seines Elends – welches von beiden es auch sein mochte. Ich ging noch vor dem Ende der Vorstellung und nahm mir eine Rikscha, die mich zum »Vieux Moulin« hinausbrachte.
    Das Restaurant war zum Schutz vor Handgranaten von einem Drahtgitter umgeben, und am Ende der Brücke waren zwei schwerbewaffnete Polizisten postiert. Der patron, der an seiner üppigen burgundischen Küche fett geworden war, ließ mich höchstpersönlich durch die Tür im Drahtgitter ein. Das Lokal verströmte in der lastenden Abendschwüle einen Geruch von Kapaunen und zerlassener
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher