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Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf
Autoren: Hermann Hesse
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fremden, nicht zu ihr gehörigen Raum hinein schmeißt — und wie sie dennoch den Urgeist dieser Musik nicht zerstören kann, sondern an ihr nur ihre eigene ratlose Technik und geistlose Betriebmacherei erweisen muß! Hören Sie gut zu, Männlein, es tut Ihnen not!
    Also, Ohren auf! So. Und nun hören Sie ja nicht bloß einen durch das Radio vergewaltigten Händel, der dennoch auch in dieser scheußlichsten Erscheinungsform noch göttlich ist, — Sie hören und sehen, Wertester, zugleich ein vortreffliches Gleichnis alles Lebens. Wenn Sie dem Radio zuhören, so hören und sehen Sie den Urkampf zwischen Idee und Erscheinung, zwischen Ewigkeit und Zeit, zwischen Göttlichem und Menschlichem. Gerade so, mein Lieber, wie das Radio die herrlichste Musik der Welt zehn Minuten lang wahllos in die unmöglichsten Räume wirft, in bürgerliche Salons und in Dachkammern, zwischen schwatzende, fressende, gähnende, schlafende Abonnenten hinein, so, wie er diese Musik ihrer sinnlichen Schönheit beraubt, sie verdirbt, verkratzt und verschleimt und dennoch ihren Geist nicht ganz umbringen kann — gerade so schmeißt das Leben, die sogenannte Wirklichkeit, mit dem herrlichen Bilderspiel der Welt um sich, läßt auf Händel einen Vortrag über die Technik der Bilanzverschleierung in mittleren industriellen Betrieben folgen, macht aus zauberhaften Orchesterklängen einen unappetitlichen Töneschleim, schiebt seine Technik, seine Betriebsamkeit, seine wüste Notdurft und Eitelkeit überall zwischen Idee und Wirklichkeit, zwischen Orchester und Ohr. Das ganze Leben ist so, mein Kleiner, und wir müssen es so sein lassen, und wenn wir keine Esel 186
    sind, lachen wir dazu. Leuten von Ihrer Art steht es durchaus nicht zu, am Radio oder am Leben Kritik zu üben. Lernen Sie lieber erst zuhören! Lernen Sie ernst nehmen, was des Ernstnehmens wert ist, und lachen über das andre! Oder haben Sie selber es denn etwa besser gemacht, edler, klüger, geschmackvoller? 0 nein, Monsieur Harry, das haben Sie nicht. Sie haben aus Ihrem Leben eine scheußliche Krankengeschichte gemacht, aus Ihrer Begabung ein Unglück. Und Sie haben, wie ich sehe, da ein so hübsches, ein so entzückendes junges Mädchen zu nichts andrem zu brauchen gewußt, als daß Sie ihm ein Messer in den Leib gestochen und es kaputt gemacht haben! Halten Sie denn das für richtig?»
    «Richtig? 0 nein!» rief ich verzweifelt. «Mein Gott, alles ist ja so falsch, so höllisch dumm und schlecht! Ich bin ein Vieh, Mozart, ein dummes böses Vieh, krank und verdorben, da haben Sie tausendmal recht. — Aber was dieses Mädchen betrifft: sie hat es selbst so gewollt, ich habe nur ihren eigenen Wunsch erfüllt.»
    Mozart lachte lautlos, hatte nun aber doch die große Güte, das Radio abzustellen.
    Meine Verteidigung klang mir selbst, der ich eben noch treuherzig an sie geglaubt hatte, unversehens recht töricht. Als einst Hermine — so erinnerte ich mich plötzlich — über Zeit und Ewigkeit gesprochen hatte; da war ich sofort bereit gewesen, ihre Gedanken für ein Spiegelbild meiner eigenen Gedanken anzusehen. Daß aber der Gedanke, sich von mir töten zu lassen, Herminens eigenster Einfall und Wunsch und von mir nicht im mindesten beeinflußt sei, hatte ich als selbstverständlich angenommen. Aber warum hatte ich damals diesen so schrecklichen und so befremdlichen Gedanken nicht bloß angenommen und geglaubt, sondern sogar im voraus erraten? Vielleicht doch, weil es mein eigener war? Und warum hatte ich Hermine gerade in dem Augenblick umgebracht, wo ich sie nackt in den Armen eines andern fand? Allwissend und voll Spott klang Mozarts lautloses Lachen.
    «Harry», sagte er, «Sie sind ein Spaßvogel. Sollte wirklich dieses schöne Mädchen von Ihnen nichts andres zu wünschen gehabt haben als einen Messerstich? Machen Sie das einem ändern weis! Na, wenigstens haben Sie brav 187
    zugestochen, das arme Kind ist mausetot. Es wäre nun vielleicht an der Zeit, daß Sie sich die Folgen Ihrer Galanterie gegen diese Dame klarmachten. Oder sollten Sie sich um die Folgen drücken wollen?»
    «Nein», schrie ich. «Verstehen Sie denn gar nicht? Ich mich um die Folgen drücken! Ich begehre ja nichts anderes als zu büßen, zu büßen, zu büßen, den Kopf unters Beil zu legen und mich strafen und vernichten zu lassen.»
    Unerträglich spöttisch sah Mozart mich an.
    «Wie pathetisch Sie immer sind! Aber Sie werden schon noch Humor lernen, Harry. Humor ist immer Galgenhumor, und nötigenfalls
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