Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
daß ich jetzt dies Stück von mir, dies nur zu einem Zehntel, einem Tausendstel erfüllte Stück meines Wesens und Lebens auslebte und wachsen ließ, unbeschwert von allen den ändern Figuren meines Ichs, ungestört vom Denker, ungequält vom Steppenwolf, ungeschmälert vom Dichter, vom Phantasten, vom Moralisten.
    Nein, jetzt war ich nichts andres als Liebender, atmete kein andres Glück und kein andres Leid als das der Liebe. Schon Irmgard hatte mich tanzen, Ida mich küssen gelehrt, und die Schönste, Emma, war die erste, die mir, am Herbstabend unterm wehenden Ulmenlaub, ihre bräunlichen Brüste zu küssen und den Becher der Lust zu trinken gab.
    Vieles erlebte ich in Pablos kleinem Theater, und kein Tausendstel da von ist mit Worten zu sagen. Alle Mädchen, die ich je geliebt, waren nun mein, jede gab mir, was nur sie allein zu geben hatte, jeder gab ich, was nur sie von mir zu nehmen wußte. Viel Liebe, viel Glück, viel Wollust, viel Verwirrung auch und Leid bekam ich zu kosten, alle versäumte Liebe meines Lebens blühte in dieser Traumstunde zauberhaft in meinem Garten, keusche zarte Blumen, grelle lodernde Blumen, dunkle schnellwelkende Blumen, flackernde Wollust, innige Träumerei, glühende Schwermut, angstvolles Sterben, strahlende Neugeburt. Ich fand Frauen, die nur eilig und im Sturm zu gewinnen waren, und andre, um welche lang und sorgfältig zu werben ein Glück war; jeder dämmernde Winkel meines Lebens tauchte wieder auf, in welchem einst, sei es nur eine Minute lang, 176
    die Stimme des Geschlechts mir gerufen, ein Frauenblick mich entzündet, ein Schimmer weißer Mädchenhaut mich gelockt hatte, und alles Versäumte ward eingeholt. Jede wurde mein, jede auf ihre Art. Die Frau mit den merkwürdigen tiefbraunen Augen unter flachshellem Haar war da, neben der ich einst eine Viertelstunde am Fenster im Gang eines Schnellzugs gestanden, und die später mehrmals in meinen Träumen erschienen war, — sie sprach kein Wort, aber sie lehrte mich ungeahnte, erschreckende, tödliche Liebeskünste. Und die glatte, stille, glasig lächelnde Chinesin vom Hafen in Marseille, mit dem glatten tiefschwarzen Haar und den schwimmenden Augen, auch sie wußte Unerhörtes.
    Jede hatte ihr Geheimnis, duftete nach ihrem Erdreich, küßte, lachte auf ihre Weise, war auf ihre besondere Art schamhaft, auf ihre besondere Art schamlos.
    Sie kamen und gingen, der Strom führte sie mir zu, spülte mich zu ihnen hin, von ihnen weg, es war ein spielendes, kindliches Schwimmen im Strom des Geschlechts, voll Reiz, voll Gefahr, voll Überraschung. Und ich staunte darüber, wie reich mein Leben, mein scheinbar so armes und liebloses Steppenwolfleben, an Verliebtheiten, an Gelegenheiten, an Lockungen gewesen war. Ich hatte sie fast alle versäumt und geflohen, war über sie hinweggestolpert, hatte sie schleunigst vergessen — aber hier waren sie alle aufbewahrt, lückenlos, Hunderte. Und jetzt sah ich sie, gab mich ihnen hin, stand ihnen offen, sank in ihre rosig dämmernde Unterwelt hinab. Auch jene Verführung kehrte wieder, die mir Pablo einst angeboten hatte, und andre, frühere, die ich zu ihrer Zeit nicht einmal ganz begriffen hatte, phantastische Spiele zu dreien und vieren, lächelnd nahmen sie mich in ihren Reigen mit. Viele Dinge geschahen, viele Spiele wurde gespielt, nicht mit Worten zu sagen.
    Aus dem unendlichen Strom der Lockungen, der Laster, der Verstrickungen tauchte ich wieder empor, still, schweigend, gerüstet, mit Wissen gesättigt, weise, tief erfahren, reif für Hermine. Als letzte Figur in meiner tausendgestaltigen Mythologie, als letzter Name in der unendlichen Reihe tauchte sie auf, Hermine, und zugleich kehrte mir das Bewußtsein wieder und machte dem Liebesmärchen ein Ende, denn ihr wollte ich nicht hier in der Dämmerung eines Zauberspiegels begegnen, ihr gehörte nicht nur jene eine Figur meines Schachspiels, ihr gehörte der ganze Harry. Oh, ich würde nun mein 177
    Figurenspiel so umbauen, daß alles sich auf sie bezog und zur Erfüllung führte.
    Der Strom hatte mich an Land gespült, wieder stand ich im schweigenden Logengang des Theaters. Was nun? Ich griff nach den Figürchen in meiner Tasche, aber schon war dieser Antrieb wieder verblaßt. Unerschöpflich umgab mich diese Welt der Türen, der Inschriften, der magischen Spiegel. Willenlos las ich die nächste Aufschrift und schauderte:
    Wie man durch Liebe tötet
    stand da geschrieben. Schnell aufzuckend leuchtete ein Erinnerungsbild in mir,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher