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Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf
Autoren: Hermann Hesse
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bißchen Glück und Liebe gewesen wie dieser starre Mund: ein wenig Rot, auf ein Totengesicht gemalt.
    Und von dem toten Gesicht, den toten weißen Schultern, den toten weißen Armen hauchte, langsam schleichend, ein Schauder aus, eine winterliche öde und Einsamkeit, eine langsam, langsam wachsende Kälte, in der mir Hände und Lippen zu erstarren begannen. Hatte ich die Sonne ausgelöscht? Hatte ich das Herz alles Lebens getötet? Brach die Todeskälte des Weltraums herein?
    Schaudernd starrte ich auf die steingewordene Stirn, auf die starre Locke, auf den bleichkühlen Schimmer der Ohrmuschel. Die Kälte, die von ihnen ausströmte, war tödlich und war dennoch schön: sie klang, sie schwang wunderbar, sie war Musik!
    Hatte ich nicht einst, in einer frühern Zeit, schon einmal diesen Schauder gefühlt, der zugleich etwas wie Glück war? Hatte ich nicht schon einmal diese Musik vernommen? Ja, bei Mozart, bei den Unsterblichen.
    Verse kamen mir in den Sinn, die ich einst, in einer frühern Zeit, irgendwo gefunden hatte:
    Wir dagegen haben uns gefunden
    In des Äthers sterndurchglänztem Eis,
    Kennen keine Tage, keine Stunden,
    Sind nicht Mann noch Weib, nicht jung noch Greis ...
    Kühl und wandellos ist unser ewiges Sein,
    Kühl und sternhell unser ewiges Lachen ...
    Da ging die Logentür auf, und herein kam, erst beim zweiten Blick von mir 184
    erkannt, Mozart, ohne Zopf, ohne Kniehosen und Schnallenschuhe, modern gekleidet. Dicht neben mir setzte er sich hin, beinah hätte ich ihn berührt und zurückgehalten, daß er sich nicht an dem Blut beschmutze, das aus Herminens Brust an den Boden geronnen war. Er setzte sich und beschäftigte sich eingehend mit einigen kleinen Apparaten und Instrumenten, welche da herumstanden, er hatte es damit sehr wichtig, rückte und schraubte an dem Zeug herum, und ich blickte mit Bewunderung auf seine geschickten, flinken Finger, die ich so gern einmal hätte Klavier spielen sehen. Gedankenvoll sah ich ihm zu, oder eigentlich nicht gedankenvoll, sondern träumerisch und in den Anblick seiner schönen, klugen Hände verloren, vom Gefühl seiner Nähe erwärmt und auch etwas beängstigt. Was er da eigentlich treibe, was er da zu schrauben und zu hantieren habe, darauf achtete ich gar nicht.
    Es war aber ein Radioapparat, den er da aufgestellt hatte und in Gang brachte, und jetzt schaltete er den Lautsprecher ein und sagte: «Man hört München, das Concerto grosso in F-dur von Händel.»
    In der Tat spuckte, zu meinem unbeschreiblichen Erstaunen und Entsetzen, der teuflische Blechtrichter nun alsbald jene Mischung von Bronchialschleim und zerkautem Gummi aus, welchen die Besitzer von Grammophonen und Abonnenten des Radios übereingekommen sind, Musik zu nennen, — und hinter dem trüben Geschleime und Gekrächze war wahrhaftig, wie hinter dicker Schmutzkruste ein altes köstliches Bild, die edle Struktur dieser göttlichen Musik zu erkennen, der königliche Aufbau, der kühle weite Atem, der satte breite Streicherklang.
    «Mein Gott», rief ich entsetzt, «was tun Sie, Mozart? Ist es Ihr Ernst, daß Sie sich und mir diese Schweinerei antun? Daß Sie diesen scheußlichen Apparat auf uns loslassen, den Triumph unsrer Zeit, ihre letzte siegreiche "Waffe im Vernichtungskampf gegen die Kunst? Muß das sein, Mozart?»
    0 wie lachte da der unheimliche Mann, wie lachte er kalt und geisterhaft, lautlos und doch alles durch sein Lachen zertrümmernd! Mit innigem Vergnügen sah er meinen Qualen zu, drehte an den verfluchten Schrauben, rückte am Blechtrichter. Lachend ließ er die entstellte, entseelte und vergiftete Musik weiter in den Raum sickern, lachend gab er mir Antwort.

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    «Bitte kein Pathos, Herr Nachbar! Haben Sie übrigens das Ritardando da beachtet? Ein Einfall, hm? Ja, und nun lassen Sie einmal, Sie ungeduldiger Mensch, den Gedanken dieses Ritardando in sich hinein — hören Sie die Bässe?
    sie schreiten wie Götter — und lassen Sie diesen Einfall des alten Händel Ihr unruhiges Herz durchdringen und beruhigen! Hören Sie einmal, Sie Männlein, ohne Pathos und ohne Spott, hinter dem in der Tat hoffnungslos idiotischen Schleier dieses lächerlichen Apparates die ferne Gestalt dieser Göttermusik vorüberwandeln! Merken Sie auf, es läßt sich etwas dabei lernen. Achten Sie darauf, wie diese irrsinnige Schallröhre scheinbar das Dümmste, Unnützeste und Verbotenste von der Welt tut und eine irgendwo gespielte Musik wahllos, dumm und roh, dazu jämmerlich entstellt, in einen
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