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Der Spitzenkandidat - Roman

Der Spitzenkandidat - Roman

Titel: Der Spitzenkandidat - Roman
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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öffnete den Mund, um auf die Mappe zu verweisen, denn sie enthielt das Zahlenmaterial. Stein stoppte seinen Eifer, indem er die Hand hob. Dann sprach er über Umschichtungen und Einsparmaßnahmen, über Investitionen in die Zukunft, von denen auch das flache Land nicht ausgenommen werden dürfe. Jeder Satz hatte nur eine Funktion: Stein nahm Tempo auf, um am Ende auf sein Leib- und Magenthema zu kommen – Bildung: im Kindergarten, in Vorschulen, Grundschulen und weiterführenden Schulen. Das Thema Gesamtschulen klammerte er wohlweislich aus. In dieser Frage musste er die Partei noch hinter sich bringen. Stattdessen redete er über Universitäten, Volkshochschulen und spezielle Angebote für Migranten. Stein war geradezu besessen von Bildung. Es gab keine Veranstaltung, in der sein Lieblingsthema nicht breiten Raum einnahm.
    „Deutschland hat keine Erdölvorkommen wie Norwegen, auch kein Erdgas wie Russland oder andere nennenswerte Rohstoffe. Unser Rohstoff sind wir selbst, die Menschen. In ihre Köpfe müssen wir investieren, wenn wir auch zukünftig in der ersten Liga mitspielen wollen.“
    Er trank einen Schluck Tee. „Ich weiß, ich weiß, eine Binsenweisheit, tausendmal gesagt. Aber mit der Umsetzung hapert es in diesem Land. Und ich stehe für die Umsetzung, dafür kämpfe ich, deshalb will ich Regierungschef in diesem wunderschönen Bundesland werden.“
    Die Journalisten schrieben eifrig mit.
    Bianca Fröhlich legte nach: „Eine private Frage.“
    „Keine Hemmungen. Wenn nicht im kleinen Kreis, wo denn dann?“, entgegnete Stein aufmunternd.
    „Die Menschen fragen sich, weshalb sie Ihre Frau nie zu Gesicht bekommen. Als Landesmutter wird sie repräsentative Aufgaben übernehmen müssen. Die Wähler würden sich gerne einen Eindruck machen, vorher, meine ich.“
    Sein Lächeln war eine sichere Burg, in der Stein Unterschlupf fand. Niemand außer Wagner bemerkte, dass der Politiker sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Stein nahm erneut einen Schluck Tee und noch einen.
    Dann, nach einer längeren Pause, sagte er: „Meine Frau ist sich der Bedeutung ihrer neuen Rolle vollkommen bewusst. Selbstverständlich wird sie repräsentative Aufgaben übernehmen. Sie wird sich im sozialen Bereich engagieren. Meine Frau will sich im Kampf gegen die wachsende Kinderarmut betätigen.“
    Seine Augen blieben kalt, während er der Runde sein Lächeln schenkte.
    „Sie ist sich durchaus bewusst, dass die kommenden Jahre nicht einfach werden. Wir alle hier im Raum kennen ja die heikle Situation einer Landesmutter. Streng genommen hat sie kein Mandat, sie steht nicht zur Wahl. Deshalb hält sich meine Frau bewusst zurück, solange der Wahlkampf dauert.“
    „In den Vereinigten Staaten …“
    „Ja, ja, liebe Bianca, ich weiß. In den USA muss die ganze Familie ran, aber wir sind in Niedersachsen und nicht in Amerika. Es wäre schön, wenn die Frau Gemahlin des Oppositionsführers sich das gelegentlich vergegenwärtigen würde. Erst gestern haben mich Bürger in Peine verwundert gefragt: Wer kandidiert denn da eigentlich? Die Frau vom Oppositionsführer oder ihr Mann? Jeden zweiten Tag eine unerbetene politische Meinungsäußerung, das ist nicht die Art Familienpolitik, für die ich eintrete.“
    Alle lachten, auch Bianca. Aber sie legte trotzdem nach: „Ihre Frau ist praktisch unsichtbar. Sie war weder beim Sommerfest der Niedersachsenpresse noch beim Fest des Unternehmerverbandes letzte Woche und auch nicht bei der Eröffnung der Gartenfestspiele in Herrenhausen. Alle Politiker kamen in Begleitung, nur Sie nicht.“
    Lass gut sein, Mädchen, dachte Wagner. Stein ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Das war eine seiner vielen Stärken, die ihn in kurzer Zeit so weit nach oben gebracht hatten.
    „Wir haben eine schulpflichtige Tochter. Meine Frau nimmt ihre Aufgaben als Mutter sehr ernst. Ich sage das ganz offen, obwohl ich weiß, was mancher von Ihnen denken wird: Hausfrau und Gleichberechtigung, passt das? Ich sage: Ja, das passt! Seien wir doch ehrlich, einen Haushalt und eine Familie zu managen, das erfordert Einsatz und Organisationstalent. Und meine Frau weiß, was in Zukunft auf unsere Tochter zukommen wird. Deshalb ist sie für unsere Kleine da, solange es geht. Außerdem, nichts für ungut: Ich bin kein Freund davon, die Eier zu verteilen, bevor sie gelegt sind. Noch haben wir die Wahlen nicht gewonnen.“
    Es wurde still im Raum. Dann fuhr Stein mit leiser Stimme an Bianca gerichtet fort: „Sprechen Sie
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