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Der Spitzenkandidat - Roman

Der Spitzenkandidat - Roman

Titel: Der Spitzenkandidat - Roman
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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Blick, den Wagner inzwischen zur Genüge kannte und der ihm Angst machte. Niemals zuvor hatte er vor einem Vorgesetzten Angst gehabt, mit Stein hatte sich das geändert. Auch wenn der Politiker niemanden an sich heranließ, es hatte Gelegenheiten gegeben, Seiten an ihm kennenzulernen, die Unbehagen bei seinem Wahlkampfmanager ausgelöst hatten.
    In dem Moment erkannte Wagner, wie angespannt der Politiker war. Das Nach-20-Uhr-Gesicht. Das Gesicht am Ende des Tages. Was war passiert? Irgendetwas stimmte nicht.
    Stein setzte sich. „Fangen wir an, meine Herrschaften. Auf mich wartet der Wähler. Auf Sie warten aufschlussreiche Minuten. Ich werde mich kurz halten, erwarte offene Fragen. Wir sind ja unter uns.“
    Er schenkte der einzigen Frau im Raum ein Lächeln. Sein George-Clooney-Lächeln, dem sich selbst die kühle Bianca nicht entziehen konnte. Wagner wusste, dass die Journalisten Stein mochten. Sein Aufstieg war nicht nur für die Partei gut, er beflügelte auch die Medien, versorgte sie mit Themen und Terminen. Stein brachte frischen Wind in das dröge Niedersachsen. Er war immer für eine Nachricht gut, und weil er gut für sie war, waren sie gut zu ihm. Kumpanei war es nicht, sondern die Nachbarschaft von Interessenlagen.
    Stein sprach über das Wahlprogramm seiner Partei und betonte mehrfach, die Schwerpunkte seien seine, nicht die seines Vorgängers. „Ich setze mich nicht auf ein laufendes Pferd, ich habe den Gaul selbst gestriegelt und gesattelt.“
    Trotzdem lobte er den amtierenden Ministerpräsidenten und bedauerte dessen angeschlagenen Gesundheitszustand, der ihn zum Ausstieg aus der Politik zwang. Wagner dachte sich seinen Teil, Stein wirkte besonders überzeugend, wenn er nicht die Wahrheit sagte.
    Dann brachte Stein das Wort auf den Parteivorsitzenden Alfred Bitter, bezeichnete ihn als Lehrmeister, Mentor und Freund, gab vor nachzudenken und stellte den „Freund“ an die erste Stelle. Er klang überzeugend. Niemand im Raum – außer Wagner – wusste von dem erbitterten Krieg, den die beiden gegeneinander führten und der in den letzten Wochen an Intensität gewonnen hatte.
    Der Verlauf des Wahlkampfes war das nächste Thema: 400 Parteieintritte gegenüber 17 Austritten. Volle Säle, Zuspruch von den Bürgern, überall im Land Aufbruchstimmung. Er malte das Bild in rosigen Farben: Eine Regierungspartei, kompetent, machterfahren und allen Unkenrufen zum Trotz nicht ermüdet, leitet mit ihm an der Spitze die Zukunft ein. Die Worte „modern, bunt, innovativ“ fielen mehrfach. Wagner kannte sie im Schlaf, so oft hatte er sie aus Steins Mund gehört.
    Stein war geschickt, bezog immer wieder die Journalisten mit ein. Er war ein Kommunikationsgenie, gab den Menschen das Gefühl, sich für sie zu interessieren, obwohl das Gegenteil der Fall war. In der Öffentlichkeit erweckte er den Eindruck anders als die anderen Politiker und der einzig Mutige unter lauter Mutlosen zu sein. Sätze wie „Ich lasse mich nicht verbiegen, selbst wenn es mich Stimmen kostet“ oder „Man muss auch unbequeme Wahrheiten aussprechen“ gehörten zu seinem ständigen Repertoire, wobei er offenließ, welche unbequemen Wahrheiten er konkret meinte. Im kleinen Kreis war er anders, zugeknöpft und unterkühlt. Auch die kraftlose Opposition, die längst resigniert habe, wurde erwähnt. Auf der anderen Seite die Bürgerpartei, verantwortungsbewusst, dynamisch, weltoffen und immer ehrlich. So wie die Niedersachsen selbst: gradlinig, vernunftgeprägt, erdverbunden und mit sicherem Gespür für das Machbare.
    „Wir können uns nur selbst besiegen, wenn wir abheben und den Boden unter den Füßen verlieren. Ich stehe dafür ein, dass das nicht passieren wird. Wir handeln, wie wir reden. Das, was ich vor der Wahl sage, daran werde ich mich messen lassen.“
    Dann schaute er in die Runde der interessiert lauschenden Journalisten. „Wenn Sie noch Fragen haben, lassen Sie sie vom Stapel.“
    Am Ende war es fast eine Wahlkampfrede geworden. Die Journalisten sahen nicht so aus, als wären sie darüber traurig. Stein hatte sie mit griffigen Formulierungen versorgt.
    Der Artikel für die nächste Ausgabe war gesichert. Wagner verteilte die vorbereiteten Mappen. Bianca Fröhlich meldete sich zu Wort. Sie musste warten, denn Stein holte sich Tee.
    „Herr Stein, wie wollen Sie das Hundert-Tage-Modernisierungsprogramm, das Sie gleich nach Ihrem Amtsantritt als Regierungschef in Angriff nehmen wollen, eigentlich finanzieren?“
    Wagner
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