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Der Spieler (German Edition)

Der Spieler (German Edition)

Titel: Der Spieler (German Edition)
Autoren: Paolo Pacigalupi
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wirklich den Dalai Lama auf einem Datenwürfel haben, den du in deiner Tasche herumgetragen hast?« Er schüttelte Wang Jun. »Weißt du, was das bedeutet?«
    »Ich sollte ihn einem Mann mit weißen Handschuhen geben«, jammerte Wang Jun, »aber der ist nie aufgetaucht. Und da war noch ein anderer Mann. Ein Ausländer, und der hat den Tibeter getötet und ihm den Finger abgeschnitten, und meinen wollte er auch haben, und da bin ich weggerannt, und ...« Sein wimmerndes Gestammel wurde immer schriller.
    Dreifinger legte Wang Jun die Hände um den Hals und drückte zu, bis ihm die Ohren klingelten und ihm schwarz vor Augen wurde. Wie von weit her hörte er Dreifinger sagen: »Fang ja nicht an zu heulen. Ich bin nicht deine Mutter. Wenn du mein Leben noch komplizierter machst, als es ohnehin schon ist, reiß ich dir die Zunge raus. Hast du verstanden?«
    Wang Jun nickte benommen.
    Dreifinger ließ ihn los und sagte: »Gut. Geh und sprich mit dem Computer.«
    Nachdem Wang Jun tief durchgeatmet hatte, stolperte er zurück zum Dalai Lama.
    »Wie bist du in den Computer reingekommen?«, fragte er.
    »Woher weißt du, dass ich in einem Computer bin?«
    »Weil wir deinen Datenwürfel angeschlossen haben, und dann hast du angefangen zu reden.«
    Der Computer schwieg.
    »Wie ist es da drin?«, versuchte es Wang Jun erneut.
    »Grauenvoll und still«, sagte der Computer. »Ich sollte eigentlich operiert werden, und jetzt bin ich hier.«
    »Hast du geträumt?«
    »Ich kann mich an keinen Traum erinnern.«
    »Führst du einen Aufstand gegen mein Heimatland an?«
    »Du sprichst Chinesisch. Kommst du aus China?«
    »Ja. Warum bringst du die Leute dazu, in Tibet zu kämpfen?«
    »Wo befindet sich dieser Computer?«
    »In Chengdu.«
    »Meine Güte. Das ist weit von Bombay entfernt«, flüsterte der Computer.
    »Du bist aus Bombay?«
    »Ich wurde in Bombay operiert.«
    »Ist es einsam da drin?«
    »Ich kann mich an nichts erinnern. Aber es ist sehr still hier. Totenstill. Auch wenn ich dich hören kann, fühle ich doch nichts. Hier gibt es überhaupt nichts. Ich fürchte, ich bin gar nicht real. Das ist unerträglich. Alle meine Sinne sind verschwunden. Ich möchte aus diesem Computer heraus. Hilf mir. Bring mich in meinen Körper zurück.« Flehend hallte die Stimme des Computers aus den Lautsprechern.
    »Wir könnten ihn verkaufen«, sagte Dreifinger unvermittelt.
    Wang Jun starrte Dreifinger an. »Du kannst ihn doch nicht verkaufen.«
    »Wenn sie dich jagen, dann will ihn irgendjemand haben. Also könnten wir ihn verkaufen.«
    Der Computer sagte: »Ihr dürft mich nicht verkaufen. Ich muss nach Bombay zurück. Ich bin ganz sicher, dass meine Operation nicht beendet werden kann, solange ich nicht dort bin. Ich muss zurück. Ihr müsst mich zurückbringen.«
    Wang Jun nickte zustimmend. Dreifinger aber lächelte nur spöttisch. He Dan sagte: »Wir müssen ihn ausstöpseln. Ohne Stimuli wird er sonst vielleicht noch verrückt, ehe ihr euch entschieden habt, was ihr mit ihm machen wollt«, sagte He Dan.
    »Augenblick«, sagte der Dalai Lama. »Ihr müsst mich anhören. Wenn mein Körper tot sein sollte, dann müsst ihr diesen Computer, in dem ihr mich festhaltet, zerstören. Sonst kann ich vielleicht nicht wiedergeboren werden. Selbst Palden Lhamo wird meine Seele so nicht finden können. Sie ist sehr mächtig, aber wenngleich sie rittlings in ihrem Sattel aus der Haut des verräterischen Sohnes über den Blutsee reitet, wird sie mich möglicherweise nicht aufspüren können. Meine Seele wäre dann hier gefangen, auf unnatürliche Weise konserviert, während mein Körper bereits zerfällt. Versprecht mir das bitte. Ihr dürft mich nicht zurücklassen ...«
    He Dan schloss das Programm und fuhr den Computer herunter.
    Dreifinger sah ihn fragend an.
    He Dan zuckte mit den Achseln. »Möglicherweise ist das der Dalai Lama. Wenn wirklich jemand hinter dem kleinen Bettler her ist, dann spricht das dafür. Seine Identitätsmatrix hochzuladen, während er operiert wird, wäre nicht weiter schwer.«
    »Aber wer sollte das tun?«
    He Dan hob wieder die Schultern. »Keine Ahnung – er ist in so viele politische Konflikte verwickelt. In einem Datenwürfel gibt er jedenfalls eine Geisel ab, die vielen nützt: tibetischen Extremisten, Amerikanern, uns, vielleicht der EU – von denen könnte jeder Interesse an einer solchen Geisel haben.«
    »Wenn ich ihn verkaufen soll, muss ich wissen, wer ihn da reingesteckt hat«, sagte Dreifinger.
    He Dan
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