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Der Spieler (German Edition)

Der Spieler (German Edition)

Titel: Der Spieler (German Edition)
Autoren: Paolo Pacigalupi
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qualmend am Boden landete. Dreifinger stieß eine Holztür auf. Die Farbe darauf war abgeblättert und der Rahmen derart verzogen, dass er sich dagegen werfen musste, bis sie laut kratzend nachgab und sie eintreten konnten.
    Im schummrigen Licht konnte Wang Jun Dutzende von Monitoren erkennen. Bildschirmschoner und Datensätze flimmerten darüber hinweg. Kolonnen von Schriftzeichen und Zahlen flossen dahin, mit weit entfernten Informationsnetzwerken verbunden. Schweigende Menschen bearbeiteten unaufhörlich ihre Tastaturen, ansonsten war es still.
    Dreifinger zog Wang Jun mit sich zu einem der stummen Programmierer und sagte: »He Dan, kannst du den lesen?« Er stupste Wang Jun an, und Wang Jun hielt den Datenwürfel hoch. He Dan griff mit anmutigen Fingern spinnengleich nach dem Würfel und hielt ihn sich nahe vors Gesicht, um ihn im spärlichen Licht zu betrachten. Nachdem er kurz mit den Achseln gezuckt hatte, wühlte er in einem Haufen Adapter. Er wählte einen aus, verband ihn mit einem losen Kabel und steckte ihn in den Datenwürfel. Dann gab er irgendetwas in den Computer ein, bis die Fenster und die Randleisten zu flackern begannen und eine andere Farbe annahmen. Als eine Box erschien, drückte er eine Taste.
    »Wo bin ich?« Die Stimme war verzerrt und so laut, dass die Lautsprecher knackten. Die anderen im Raum zuckten zusammen. He Dan regelte die Lautstärke herunter. Die Stimme erklang erneut, dieses Mal leiser: »Hallo?« Sie klang ein bisschen verängstigt. »Ist da jemand?«, fragte sie.
    »Ja«, antwortete Wang Jun ohne nachzudenken.
    »Wo bin ich?« Die Stimme begann zu zittern.
    »In einem Computer«, sagte Wang Jun.
    Dreifinger schlug ihm auf den Hinterkopf. »Sei still!«
    »Wie bitte?«, fragte die Stimme.
    Sie lauschten schweigend.
    »Hallo, hat da jemand gesagt, ich sei in einem Computer?«, fragte sie dann.
    Wang Jun sagte: »Ja, du bist in einem Computer. Was bist du?«
    »Ich bin in einem Computer?« Die Stimme klang verwirrt. »Eigentlich sollte ich operiert werden. Wieso bin ich in einem Computer?«
    »Wer bist du?« Wang Jun ignorierte Dreifingers wütenden Blick.
    »Ich bin Naed Delhi, der neunzehnte Dalai Lama. Wer bist du?«
    Die Tippgeräusche verstummten vollends. Niemand sagte auch nur ein Wort. Wang Jun konnte das schwache Surren der Ventilatoren und die brummenden Monitore hören. Einige Programmierer wandten sich dem sprechenden Computer zu. Wang Jun hörte, wie sich vor der Tür jemand räusperte und ausspuckte. Der Computer sprach einfach weiter, unbeeindruckt von der Wirkung, die seine Worte gehabt hatten. »Hallo?«, sagte er. »Mit wem spreche ich?«
    »Mit Wang Jun.«
    »Hallo. Warum kann ich nichts sehen?«
    »Du bist in einem Computer. Du hast keine Augen.«
    »Ich kann hören. Warum kann ich hören, aber nicht sehen?«
    He Dan mischte sich ein: »Der Software-Emulator von Ihrem Programm erlaubt keine Bildübertragung.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Sie sind eine künstliche Intelligenz. Ihr Bewusstsein ist Software. Ihr Input läuft über die Hardware. Und die vertragen sich nicht mit dem System, auf dem wir Sie installiert haben.«
    »Ich bin keine Software«, sagte die Stimme bebend. »Ich bin der Dalai Lama der Gelbmützen. Der neunzehnte, der als solcher wiedergeboren wurde. Es ist nicht mein Schicksal, als Software wiedergeboren zu werden. Sie müssen sich irren.«
    »Bist du wirklich der Dalai Lama?«, fragte Wang Jun.
    »Ja«, antwortete der Computer.
    »Wie ...«, begann Wang Jun, aber Dreifinger zog ihn von der Anlage weg, noch ehe er seine Frage beenden konnte. Er kniete sich vor Wang Jun hin und packte ihn mit zitternden Händen am Kragen. »Wo hast du diesen Würfel her?«, fauchte er, wobei sich ihre Gesichter fast berührten.
    Wang Jun zuckte mit den Achseln. »Den hat mir jemand gegeben.«
    Dreifinger schlug Wang Jun so schnell ins Gesicht, dass dieser die Hand nicht kommen sah. Wang Juns Kopf federte zurück. Seine Wange brannte. Die Programmierer schauten zu, während Dreifinger ihn anzischte: »Lüg mich nicht an. Wo hast du dieses Ding her?«
    Wang Jun fasste sich an die Wange. »Von einem Tibeter, ich habe es von einem Tibeter, der Tigerknochen verkauft, und von einem Mann aus Hunan. Und da war eine Leiche. Ein großer Ausländer. Die Brille, die ich dir verkauft habe, gehörte dem toten Ausländer.«
    Dreifinger legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. »Lüg mich bloß nicht an. Weißt du überhaupt, was das bedeutet, falls wir
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