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Der Spezialist: Thriller

Der Spezialist: Thriller

Titel: Der Spezialist: Thriller
Autoren: Mark Allen Smith
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Klienten betrachteten den Jones als ihren Feind und wünschten sich in Wahrheit mehr als nur Schadensersatz oder Einsichten: Sie wollten ihr Pfund Fleisch.
    In Geigers Augen waren Politik, Wirtschaft und Religion die drei verbliebenen Finger an einer vom Kampf verstümmelten Faust. Wahrheit hingegen war eine Waffe, die man selbst mit verkrüppelter Hand noch fassen und führen konnte. Wahrheit war ein bemerkenswert vielseitiges Handelsgut – mit ihr konnte gefeilscht werden; sie konnte ein Ziel näher bringen oder einen Profit erwirtschaften. Sie war aber auch ein instabiles Element mit kurzer Halbwertszeit und musste rasch eingesetzt werden, ehe sie dem Klienten vor der Nase in die Luft flog. Schon früh hatte Geiger begriffen, dass die Wahrheit nicht heilig war, sondern nur die heißeste Ware auf dem Markt, und jeder, der sich mit IR befasste und behauptete, sich dabei innerhalb moralischer Grenzen zu bewegen, saß im besten Fall einer Selbsttäuschung auf.
    Der Kater sprang von Geigers Schulter auf das Verandageländer und begab sich auf seinen nächtlichen Streifzug. Gegenfünf Uhr morgens würde er zurück sein. Seine innere Uhr lief nahezu perfekt.
    Die Spinne hatte ihr Werk vollendet. Mitten im Netz zappelte bereits ein großer gestreifter Nachtfalter, ohne zu ahnen, dass seine Fesseln sich umso enger zogen, je verzweifelter er freizukommen versuchte. Ohne Hast näherte sich die Spinne aus der rechten oberen Ecke ihres Netzes. Sie zeigte keine Eile, als wäre der Zweck zweitrangig gegenüber dem Mittel und die Mahlzeit nur ein Nebenaspekt der Kunstfertigkeit, mit der sie gefangen worden war.
    Geiger zündete sich noch eine Lucky an, und als die Spinne ihre Beute erreichte, hielt er die Feuerzeugflamme an einen Tragfaden. Netz, Spinne und Nachtfalter vergingen in einem kleinen Feuerball.
    Geiger entschied sich, im Augenblick nicht über sein Tun nachzudenken, und ging ins Haus. Morgen wollte er mit Dr. Corley darüber sprechen.

2
     
    Dr. Martin Corley stand am Geländer seines Balkons im achtzehnten Stock und zog stirnrunzelnd an der Marlboro Light, die er sich zwischen zwei Sitzungen gönnte. Von den normalen Zigaretten auf die leichte Variante umzuschwenken, war die letzte in einer Serie unbefriedigender Selbstverleugnungen gewesen, mit denen Corley die Sterblichkeit auf Abstand halten wollte. Nicht der Meilenstein, sechzig Jahre alt zu werden, hatte seine Zielstrebigkeit untergraben und ihn von alten Gewohnheiten abgebracht, sondern die Nachwehen der Scheidung. Seine lange Ehe hatte ihm mit ihren zahllosen Traditionen, so fadenscheinig und statisch sie auch gewesen sein mochten, Kontinuität geboten, eine betäubende Gleichförmigkeit, die das Verstreichen der Zeit kaschierte. Seit Sara ihn verlassen hatte, informierte ihn seine Einsamkeit täglich über sein Alter und den bevorstehenden weiteren Verfall. Begonnen hatte es damit, dass er statt Sahne nur noch einprozentige Milch in seinen Kaffee gab. Als Nächstes wechselte er von normaler auf Cola Light und tauschte Aroma gegen chemischen Nachgeschmack. Dann kam Amstel Light, bei dem man schon ein gerüttelt Maß an Selbsttäuschung mobilisieren musste, um noch zu glauben, man trinke Bier. Und nun auch noch die Zigaretten. Das Rauchen war zu einem freudlosen Einziehen von dünnem Rauch und dem vergeblichen Warten auf die Beschleunigung des Pulses geworden, die stets ausblieb. Ohne den zugehörigen Genuss enttarnte sich das Rauchen als das, was es war – eine Sucht, von einem Geist aufrechterhalten, der zu träge geworden war, um sich selbst mit der gleichenSorgfalt zu erforschen, die er für das seelische Terrain fremder Menschen aufbrachte.
    Als Corley auf die West 88th Street hinunterblickte, sah er, wie Geiger um die Ecke bog und sich dem Seiteneingang des Gebäudes näherte. Vor acht Monaten hatte Geiger wegen eines Termins angerufen; er war auf einer psychiatrischen Website auf Corleys Namen gestoßen. Schon bei ihrer ersten Sitzung am darauffolgenden Nachmittag hatte Geiger den Grund für sein Kommen offengelegt: Zwei Monate zuvor habe er einen Traum von epischer Komplexität und Dramatik erlebt, dem eine schwere Migräne gefolgt sei. Seitdem, erfuhr Corley, hatte sich der gleiche Traum alle zwei bis drei Wochen in leicht unterschiedlichen Inszenierungen auf der Bühne seines Geistes wiederholt, jedes Mal gefolgt von der überwältigenden Migräne als zweitem Akt.
    In den Sitzungen war Geiger stets präzise und frei von Arglist, ein Lieferant
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