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Der Spezialist: Thriller

Der Spezialist: Thriller

Titel: Der Spezialist: Thriller
Autoren: Mark Allen Smith
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hinunter zu den Zehen ein. Im Laufe der Jahre war er deswegen bei drei Spezialisten gewesen. Einer der Ärzte hatte es »Lahmfuß« genannt; es handelte sich um eine Ischiaserscheinung, und der einzige Ausweg sei rekonstruktive Chirurgie. Geiger hatte erwidert, dass bei ihm niemand eine Klinge ansetzen werde, egal aus welchem Grund.
    Geiger ging auf die Veranda, um die Taubheit loszuwerden und eine Zigarette zu rauchen. Im Haus rauchte er nicht. Der Geruch nach abgestandenem Rauch störte ihn in seiner Konzentration.
    Vor Monaten, als Geiger noch ein Neuling auf der Couch des Therapeuten gewesen war, hatten Dr. Corley und er diese Abneigung auf Geigers Vater und dessen Kettenraucherei zurückgeführt. Bis heute war es das einzige Bild des Vaters, das Corley aus Geiger hatte herausholen können: In einem Traum hatte Geiger in das steinerne Gesicht geblickt, das auf ihn herunterstarrte, die Camel zwischen den vollen Lippen; Rauchkringel quollen aus den Nasenlöchern. Geiger hatte sich erinnert, was er damals gedacht hatte: So sieht Gott aus. Nur größer.
    Der Kater kam zur offenen Tür und rieb sich an Geigers Fußknöcheln. Geiger hob ihn hoch und legte ihn sich über die Schulter. Nächst dem Schreibtisch hatte er dort seinen zweiten Lieblingsplatz.
    Geiger zündete sich eine Lucky Strike an und richtete den Blick wieder auf die Spinne. Besessen von der eigenen Zielstrebigkeit, übte sie ihre einzigartige Fertigkeit mit unzähligen, perfekten Beinstößen aus. Man stelle sich einen Zimmermann vor, der Nägel spuckt, die er in seinem Bauch erzeugt hat, und sie mit bloßen Händen einschlägt. Man stelle sich einen Musiker vor, dessen Instrument der eigene Körper ist.
    Gibt es außer dem Menschen noch andere Wesen, die so emsig und erfindungsreich beim Ersinnen von Tötungsapparaten sind?, fragte sich Geiger.
    ***
     
    Geiger war ein Vorkämpfer, ein Sklave der Präzision. Ständig zerlegte, destillierte und definierte er die Teile des Ganzen, denn auf die Einzelheiten kam es beim Information Retrieval an, dem Informationsabruf oder kurz IR. Geigers Ziel bestand darin, diesen Vorgang zu einer Kunstform zu entwickeln; darum besaß von dem Augenblick an, in dem er einen Raum betrat, jede Einzelheit ihre ganz eigene Bedeutung und durfte nicht unbeachtet bleiben: Das galt für jede Miene, jedes gesprochene Wort, jedes Schweigen, jedes Zucken, jeden Blick und jede Bewegung. In neun von zehn Fällen brauchte er nur eine Viertelstunde lang mit dem »Jones« – der Person, mit der er sich befassen musste – in einem Raum zu sein, um eher als der Jones selbst zu wissen, wie dessen Reaktion auf eine bestimmte Aktion ausfallen würde: Angst, Auflehnung, Verzweiflung, Herausforderung, Leugnen. Die Reaktionen des Jones folgten Mustern, Zyklen – Refrains des Verhaltens. Um sie alle zu sehen, musste man sehr aufmerksam sein. Wie man das anstellte, hatte Geiger erlernt, indem er Musik hörte – in der Erkenntnis, dass jede einzelne Note eine Rolle im Ganzen spielt und dass jeder Ton alle anderen beeinflusst und ergänzt. Von tausend Musikstücken konnte Geiger jede einzelne Note summen. Er hatte sie alle im Kopf. Wie bei IR war auch bei der Musik das kleinste Detail von Bedeutung.
    Trotz der Vielzahl der Elemente, die ins Spiel kamen, war Geigers Sicht auf seine Arbeit ziemlich simpel. Was das Spannungsfeld zwischen dem Klienten und dem Jones betraf, ging es fast immer um eines von drei grundsätzlichen Szenarien:
    1. Diebstahl
    Der Jones hatte dem Klienten etwas gestohlen, und der Klient wollte es zurück.
    2. Betrug
    Der Jones hatte eine Untreue oder einen Verrat begangen, und der Klient wollte erfahren, wer die Komplizen waren und welches Ausmaß mögliche Folgen annehmen konnten.
    3. Bedarf
    Der Jones besaß Informationen oder Wissen, die der Klient erlangen wollte.
    Alle Menschen unterscheiden sich, allerdings nur in bestimmtem Umfang. Geigers Protokolle bewiesen das immer wieder. Seit er mit seiner Arbeit begonnen hatte, waren sechsundzwanzig zehn Zentimeter dicke Ordner aus schwarzem PVC voller Aufzeichnungen zusammengekommen und standen nun aufgereiht auf seinem Schreibtisch. In diesen Notizen konnte er Querbezüge nach Beruf, Alter, Religion, Vermögen und – am wichtigsten – Bindung herstellen. Die Ordner bildeten eine Informationssammlung zur Reaktion auf Einschüchterung, Bedrohung, Angst und Schmerz. Niemals aber Tod. In elf Jahren war es kein einziges Mal zu einem Todesfall gekommen. Was das anging, war
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