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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat
Autoren: John Updike
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Abschiedsspende für den Baufonds verlasse. Mehr, mors! Jedenfalls mieden fortan die nominellen Gemeindemitglieder die sonntäglichen Kirchenbänke wie einen internen Steuerprüfer, bis sich die Kunde im Lande verbreitete, daß, siehe da!, der neue Pastor kein Jäger sei, sondern ein Gejagter. Oh, Schande über mich, wenn ich zurückdenke an jene Sonntage in der Welt, als meine Predigten so reizend gequält, so modisch erhaben über die christlichen Sittengesetze waren. Ich litt darunter, auf diese unmöglichen Texte festgenagelt zu sein, ich weigerte mich unter Tränen, das Eschatologische in Betracht zu ziehen, und war doch glücklich in meinem Beruf, bleich in meiner Pantomime heiliger Erregung, selbstgefällig im Schweiße meiner Schlaflosigkeit – ein fiebernder Sündenbock, der die Sünden der Reichen auf sich nahm. Die Geschäftsleute in ihren blauen Anzügen betrachteten mich mit vorsichtigen, aber zustimmenden Mienen und sahen in mir einen sonderbaren Spezialisten, während Moschusduft, penetranter als Weihrauch, zwischen den Beinen ihrer sitzenden Frauen aufstieg. Doch genug dieser Fachsimpelei! Ich war ehrlich, wenn dieses Wort eine Bedeutung hat. Besser unser eigener als eines andern Akt. Der Herr lächelte; die Wolke von Zeugen unter mir wuchs, während Drähte im Innern der Kanzel herunterhingen wie Därme in einem Metzgerladen und sich die technische Qualität meiner Sammlung interner Pornographie verbesserte (die frühere Grobkörnigkeit war bei diesen jüngsten dänischen Importen durch elektronische Vergrößerung beseitigt worden) und die Orgel hinter mir mutwillig der beredten Qual meiner andächtigen Gebetspause ein vorzeitiges Ende setzte.
    Sie war mutwillig, klein, kurzsichtig, blond im straff gestriegelten Stil, streitsüchtig und ziemlich taktfest. Der Organist meiner früheren Gemeinde war ein dicker Schwarzer gewesen, der wie ein Kurbelrad auf der Orgelbank hin und her rollte und die Gemeinde während der Kollekte dermaßen in Schwung brachte, daß die Teller von Hand zu Hand hüpften wie der springende Ball beim Rundsingen. Das Ausfegen der Kirche wurde bald ein begehrtes Privileg, so viel zu Boden gefallenes Kleingeld konnte man dabei finden. Alicia, warum versteckst du dich fortwährend hinter diesen Witzeleien? Wenn du dich an die Orgel setztest, fragte ich mich, ob die dicken Sohlen deiner modisch-schicken Schuhe dich nicht beim Treten der Pedaltasten behinderten. Chartreusegrüne Hosen mit Schlag lugten unter deinem Chorgewand hervor. Warst du mit deinen rotgeränderten Kaninchenaugen hinter der getönten oktogonalen Brille wirklich so raffiniert? Ich kam dahinter, nicht wahr?
     
    «Mrs. Crick, finden Sie nicht, daß Sie ‹Ein feste Burg› eine Idee zu schnell genommen haben?» Sie ist geschieden, hat zwei kleine Kinder. Stellen Sie Behinderte ein! Sie geht hart auf die Dreißig zu, so wie ich auf die Vierzig zugehe. Diese zehn Jahre, die sie jünger ist als ich, und ihr nachdenklich gespitzter Mund, starr wie eine Zuckerrose, und der freche Monokelblitz eines ihrer Brillengläser, während sie an ihr glänzendes Haar tippt, stacheln mich an, hinzuzufügen: «‹Ein flotte Burg› sollten wir sagen. Ihr Tempo hat den Chor beim Einzug auf halbem Weg im Mittelgang ins Stocken gebracht.»
    «Der Kinderchor trödelte beim Auszug aus der Kirche», lautet Mrs. Cricks Antwort. Und: «Man kann nicht jedes Kirchenlied langsam spielen, nur weil es religiöse Musik ist.»
    Rückblickend, und sicherlich auch damals, unter meinen aufgerichteten Stacheln, genoß ich es, daß sie mir die Stirn bot. Leben, das ist es doch, was wir ineinander suchen, auch wenn das DNS-Molekül geknackt ist und unsere Lebenskraft angeklagt vor uns liegt wie ein kleines zusammengeflicktes Spielzeug.
    «Es gibt so etwas wie ein Gefühl», sagte ich zu ihr.
    «Und auch so etwas wie Getue», erwiderte sie.
    Warum kann ich nicht weiter im Präsens berichten? Sie entfernt sich in den Gewölben der Vergangenheit, so wie sie an vielen Abenden, wenn das Geschnatter der Chorsänger in einer Flut von Scheinwerferlichtern untergegangen war, die Orgel abstellte (ein 1920 gebautes dreimanualiges elektro-pneumatisches Instrument mit einem aufregend diskordanten Mixtur-Register), ihre Noten an die Brust nahm (Sämtliche Orgelwerke von Dietrich Buxtehude und Œ uvres complètes pour Orgue de J . S. Bach, annotées et doigtées par Marcel Duvré und 99 Tabernacle Favorites for Choir & Organ), seufzte und durch das dunkle und still
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