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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman
Autoren: Craig Lancaster
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nicht lange genug gelebt, um sie kennenzulernen. Und Dad hatte die Kinder nur ein einziges Mal gesehen, als wir ihn vor wenigen Monaten und aus traurigem Anlass in Montana besuchten – zur Beerdigung seiner dritten Frau, Helen. Cindy hatte darauf bestanden, dass wir hinflogen, so schwer es mir auch fiel, ihn zu sehen. Genauso wie sie jetzt stur darauf beharrte, dass ich zu ihm reiste.
    Sie glaubte, es würde etwas Gutes dabei rauskommen, ihm in einer schweren Zeit beizustehen, und sie wollte, dass unsere Kinder ihn kennenlernten.
    Doch Dad machte sich nichts aus den Zwillingen, und seine Enkel kinder waren ihrerseits von ihm wenig beeindruckt. Weder lächelte er sie an, noch zwinkerte er ihnen zu, noch brachte er sie zum Lachen. Meistens brummte er, wenn er überhaupt einen Laut von sich gab; er verschanzte sich vielmehr hinter seinem Schweigen und ließ keinen an sich ran.
    Was Cindy und mich anging, so taten wir alles für die Kinder, besonders jetzt, wo wir auseinanderdrifteten. Trotz aller Streitigkeiten ließen wir Avery und Adia nie darunter leiden. Wir waren schon so weit, uns darauf zu einigen, dass im Fall einer Trennung Cindy, Avery und Adia im Haus bleiben sollten und ich gehen würde.
    Das wollten wir um jeden Preis vermeiden. Wir nahmen jedes bisschen Hilfe in Anspruch, bei der wir ein gutes Gefühl hatten. Cindys Eltern waren immer bereit, einzuspringen und die Kinder zu nehmen, wenn uns die Spannungen zu ersticken drohten. Wir probierten Eheberater aus, bis wir schließlich den fanden, mit dem wir beide reden konnten. Wir vertrauten uns Freunden an. Wir reservierten Abende für gemeinsame Unternehmungen, und auch wenn manche im Streit endeten, ging es doch darum, dass wiruns bemühten. Cindy bemühte sich jedenfalls. Ich selbst aber ritt mich immer wieder in denselben alten Graben, und jeden noch so kleinen Fortschritt, den wir erzielten, ruinierte ich durch erneute Vorwürfe.
    Jetzt ging ich fort, weil ich mich nicht genügend bemüht oder zu wenig Erfolg gehabt hatte. Denn mein Vater hatte eine Öffnung in unser Leben gerissen, gerade groß genug, dass meine Frau mich durchschieben konnte.
    Die Kinder kamen in dem Moment in unser Schlafzimmer, als ich gerade meine Reisetasche zuzog.
    »Wo willst du denn hin, Daddy?«, fragte Avery.
    »Euren Grandpa besuchen.«
    »Dafür brauchst du doch keine Tasche!«, sagte Adia.
    »Nicht euren Grandpa Bobby. Grandpa Jim.«
    Adia zog die Nase kraus. »Ich mag ihn nicht.«
    Ich sah Cindy an, hilflos. Sie ließ die Schultern rollen, wie um zu sagen: »Kannst du ihr das denn verdenken?« Und natürlich konnte ich das nicht.
    »Du musst ihn nur besser kennenlernen«, sagte ich. »Grandpa Jim ist ein guter Mensch.«
    Ja, Kinder, das ist verdammt noch mal gelogen.
    Unterwegs auf der 880 zum Flughafen dachte ich die ganze Zeit, ich bräuchte jetzt doch nur ein Wort zu sagen, dann würde der Taxi fahrer die Autobahn verlassen, umkehren und mich nach Hause zurückbringen. Ich könnte auf dem Gehweg bis zu unserem Haus rennen, die Haustür aufreißen und Cindy sagen, dass alles ein großer Fehler gewesen sei und ich ab sofort der Ehemann des Jahres sein würde. So einfach könnte das sein.
    An den Ausfahrten Stevens Creek, dann Alameda und Coleman spürte ich den Drang in meiner Kehle aufsteigen, die Worte klebten an meiner nassen Zunge. Jedes Mal schluckte ich hart und würgte sie wieder hinunter. Der Fahrer sauste weiter auf der Autobahn, ohne etwas von dem inneren Kampf zu ahnen, der auf der Rückbank tobte.
    Cindy war früh am Morgen mit den Kindern zu einer Vorsorgeuntersuchung gefahren – ein Zufall, trotzdem warf ich ihr halb verbittert vor, das mutwillig so gedreht zu haben, damit sie nicht dabei sein musste. Natürlich wusste ich, dass der Termin für die Kinder schon vor Wochen vereinbart worden war, und meine Frau nahm meinen frustrierten Seitenhieb ruhig hin und sagte: »Du machst das schon. Du weißt, ich würde mitkommen, wenn ich könnte. Du weißt aber auch, dass es so besser ist.«
    Das wusste ich. Nach meiner Vorstellung drohte diese Reise in einem Desaster oder einer Enttäuschung zu enden, und zwar unter allen Umständen. Aber wenn ich Jim Quillen und die heftige Auseinandersetzung zwischen seinem Sohn und seiner Schwiegertochter ins selbe Zimmer verlegen würde, dann gnade uns Gott.
    Ich stand in der Schlange vor dem Ticketschalter. Ich sah die Leute zu den Gates strömen und fragte mich, welchen Kummer sie wohl mit sich herumschleppten. Ich selbst
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