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Der Sommersohn: Roman

Der Sommersohn: Roman

Titel: Der Sommersohn: Roman
Autoren: Craig Lancaster
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darauf, dass mich das Flugpersonal ans Ziel brachte. Ich war noch nie verloren gegangen, und ich fand es peinlich, wie ein kleines Kind behandelt zu werden.
    »Also schön«, sagte sie. »Wie oft rufst du an?«
    »Einmal die Woche.«
    »Genau. Und sag Jerry, es bringt ihn nicht um, wenn er sich auch ab und zu mal meldet. Ich hab seit Wochen nichts von ihm gehört.«
    »Okay, Mom.«
    Sie ging in die Knie, um mir ins Gesicht zu sehen, obwohl das nicht nötig gewesen wäre. Ich war knapp eins achtundsechzig – nur einen Tick kleiner als sie.
    Sie lächelte. Aus ihrem Augenwinkel sah ich die erste Träne kommen, und ich wurde unruhig. Sie zog mich an sich und umarmte mich.
    »Ich hab dich lieb, Mitch.«
    »Ich weiß. Ich dich auch.«
    Sie ließ mich los, dann ergriff sie den Schirm meiner Basecap und zupfte wohlwollend daran. Ich liebte diese Mütze. Wenn es mir überhaupt leidtat, den Sommer woanders zu verbringen, dann weil die beiden Endspiele meiner Baseballmannschaft, der Mariners von der Capitol Little League, ohne mich stattfinden würden.
    »Sag Dad, dass ich heute Abend einen Anruf erwarte, damit ich weiß, dass du sicher angekommen bist.«
    »Okay.«
    Ich drehte mich von ihr weg, und der Mann vom Bodenpersonal winkte mir, als ob er sagen wollte: »Nun komm schon!«
    Ich hüpfte die Fluggastbrücke hinunter.
    Acht Jahre vorher, als ich drei war, hatte sich Mom von Dad getrennt. Sie packte meinen Bruder Jerry und mich in ihren Wagen und fuhr uns durch die Nacht von Billings nach Olympia. Sie hatte eine Zeit gewählt, in der Dad außerhalb arbeiten musste, aber das war eine unnötige Vorsichtsmaßnahme. Er kam uns nie holen, und er schien sich überhaupt nicht zu wundern, dass wir ihn verlassen hatten. Eine Weile wohnten wir im Haus meiner Großeltern im Untergeschoss, bis Mom diese Regelung nicht länger ertragen konnte. Ihre Eltern verabscheuten Dad und hatten immer behauptet, dass Moms Verbindung mit ihm ein böses Ende nehmen würde. Dass sich ihre Prophezeiung zwölf Jahre später erfüllen sollte, schien ihnen eine gewisse Genugtuung zu geben, was ich nie so richtig verstanden habe. Wer will denn schon in so einer Sache recht behalten?
    Jerry und ich wechselten uns im Sommer bei Dad ab, einer von uns blieb jeweils in Olympia. Mom sagte, einen von uns den ganzen Sommer wegzuschicken, sei für sie schon so schwer, dass sie es nicht über sich brächte, auf uns beide gleichzeitig zu verzichten. Wenn sie uns getrennt wegschickte, hätte sie damit weniger Probleme.
    Nachdem Jerry 78 die Olympia High School beendet hatte, sagte er Mom geradeheraus, dass er nicht aufs College gehen, sondern für Dad arbeiten wolle. Sie beschwor ihn, seine Entscheidung noch mal zu überdenken, aber ohne Erfolg. In puncto Körperlichkeit und Eigen sinn kam Jerry auf unseren Vater hinaus. Er blieb nicht länger in Olympia, als bis die Tinte auf seinem Zeugnis getrocknet war.
    Im Sommer darauf war ich planmäßig wieder an der Reihe und unterwegs zu Bruder und Vater.
    In Salt Lake passte ein Mann vom Bodenpersonal, wie von Mom angekündigt, meinen Flug ab und fuhr mich in einem Transportfahrzeug zu einem Satellitenterminal für meinen Shuttle-Flug nach Cedar City. Ich hatte der Flugbegleiterin auf dem Seattle-Flug noch ein paar Extratüten Erdnüsse gemopst und sie mir ins Hemd und in die Hosentaschen gestopft. Sogar die Anstecknadel mit den Plastikflügeln hatte ich angenommen, allerdings erst nach anfänglichem Protest, dass ich doch kein kleines Kind mehr sei.
    »Bist du aus Cedar City?«, fragte mich der Fahrer.
    »Nein. Da holt mich meine Stiefmutter ab.«
    »Wo willst du denn hin?«
    »Nach Milford.«
    »Warst du schon mal da?«
    »Nee.«
    »Da ist nicht viel los. Wie lange bleibst du?«
    »Den ganzen Sommer.«
    Er pfiff und sagte weiter nichts.
    Ich war der einzige Passagier nach Cedar City. Als ich mich angeschnallt hatte, kam der Kopilot heraus. Ich stopfte mir Erdnüsse in den Mund, während er redete.
    »Der Flug ist nur kurz, Mitch. Da wir drei allein sind, lassen wir die Cockpit-Tür auf, damit du dieselbe Aussicht hast wie wir. Bleib einfach auf deinem Platz, okay?«
    Vorn im Cockpit drehte sich der Pilot um und grüßte mich mit erhobenem Daumen, was ich fröhlich erwiderte.
    Ich wartete voller Ungeduld, dass sich die Propeller in Bewegung setzten. Ich sehnte mich danach, meinen Vater und Jerry wiederzusehen, und bald würde es so weit sein. Ich schnupperte schon die nahende Freiheit: mich draußen herumtreiben, nach
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