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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball
Autoren: Stella Gibbons
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Schulter ihrer Tochter.
    »Ja, vielleicht.«
    »Du solltest rausgehen«, verkündete Mr Wither und tauchte aus seiner Trübseligkeit auf wie ein Seehund aus dem Meer, um Luft zu holen. »Zu Hause herumsitzen und Trübsal blasen bringt gar nichts.« Damit tauchte er wieder unter.
    Mrs Wither ging hinaus.
    Tina trat ans Fenster, wo sie ein Weilchen stehen blieb und zu den weißen Wolken emporblickte, die sich hinter den dicken schwarzgrünen Nadeln der Chilefichte abzeichneten. Wie jung die Welt heute Morgen aussah! Sie dagegen fühlte sich alt und verwelkt, konnte jede sorgfältig eingecremte und massierte Gesichtsfalte fühlen und das allmähliche Steifwerden ihrer Knochen. Alles, was sie sich wünschte, alles, woran sie an diesem frischen jungen Tag dachte, war DIE LIEBE .
    Mr Wither verließ den Raum, überquerte die mit kalten blauen und schwarzen Fliesen ausgelegte Diele und verschwand in seinem Arbeitszimmer, einem stickigen kleinen Kabäuschen. Darin befanden sich ein hässlicher großer Schreibtisch, ein alter, abgetretener Teppich, Nachschlagewerke zum Finanzwesen sowie ein riesiger alter Kamin, der, wenn entzündet (was nur selten der Fall war), eine höllische Hitze verströmte.
    An diesem Morgen jedoch war er entzündet worden. Mr Wither hatte das nicht leichtfertig entschieden, im Gegenteil, er hatte es sich sorgfältig überlegt. Das Feuer würde nicht verschwendet sein, obwohl eine erschreckende Menge Kohle verbrannt werden musste, wenn es nicht vor halb drei Uhr nachmittags ausgehen sollte.
    Mr Wither plante, Viola nach dem Lunch zu einem kleinen Gespräch in sein Arbeitszimmer zu bitten, und hoffte, sie mit dem Feuer ein wenig gefügiger zu machen. Frauen klagten ja immer, dass sie froren.
    Mr Wither konnte den Gedanken kaum ertragen, dass ein törichtes junges Ding wie Viola die Kontrolle über ihr Vermögen haben sollte. Selbst wenn es nicht sehr groß sein konnte. Nicht einmal, wenn man das Erbe ihres Vaters zu dem dazuzählte, was ihr Teddy hinterlassen hatte. Es kann nicht mehr sein als, sagen wir, hundertfünfzig Pfund im Jahr, dachte Mr Wither, der aufrecht in seinem durchgesessenen alten Ohrensessel aus schwarzem Leder saß und trübe in das höllisch prasselnde Feuer starrte. Aber auch um hundertfünfzig Pfund pro Jahr musste man sich ordentlich kümmern, und Mr Wither und sein Finanzberater, der Major-General E. E. Breis-Cumwitt, Träger der Tapferkeitsmedaille, waren sicherlich besser dazu geeignet als Viola.
    Wenn es nach Mr Wither gegangen wäre, dann hätte er längst gewusst, wie viel Geld Viola besaß, aber zum Zeitpunkt des Todes seines Sohnes schien sich alles gegen ihn verschworen zu haben.
    Zunächst mal war Teddy schon immer irritierend geheimniskrämerisch gewesen, wenn es um sein Geld ging (und nicht nur um das, eigentlich um alles, was sein Leben betraf). Sein Vater wusste zwar, wie viel er verdiente, aber nicht, wie viel davon er sparte. Er hatte Teddy während seines Lebens ungefähr alle vierzehn Tage danach gefragt. Sparst du auch etwas? Und Teddy hatte immer »ja, natürlich, Vater« geantwortet und dann das Thema gewechselt. Gezielten Fragen nach dem Wie und Wieviel war er stets ausgewichen; hatte geantwortet, das ginge niemanden außer ihn selbst was an. Dennoch war sein Vater davon ausgegangen, dass er wenigstens einen gewissen Betrag auf die hohe Kante legte.
    Als sein Sohn dann plötzlich an einer Lungenentzündung verstarb, war Mr Wither nicht in der Lage gewesen, zur Beerdigung zu kommen (die, auf Violas Wunsch, in London stattfand), geschweige denn sich um die Hinterlassenschaft seines Sohnes zu kümmern, wie er es sich wünschte. Denn ausgerechnet zu dem Zeitpunkt hatte ihn ein fürchterlicher Hexenschuss geplagt.
    Aber er wusste immerhin, dass es kein Testament gab, was an sich schon beunruhigend war.
    Er schrieb an Viola; er schrieb zwei längere, ernste Briefe, in denen er ihr VERMÖGEN erwähnte. Als Antwort kam nur ein kurzes, vages Schreiben, in dem Viola ankündigte, sie würde bis auf weiteres zu ihrer Freundin Shirley ziehen. Eine Adresse gab sie nicht an.
    Mrs Wither sagte, dass Shirleys Nachname Davis war und dass sie in einem Viertel namens Golders Green lebte.
    Mr Wither machte sich die Mühe, im Telefonbuch von London nachzuschlagen. Aber in Golders Green wimmelte es nur so von Davis’, das nutzte also auch nichts.
    Er schrieb noch einen längeren Brief und schickte ihn an die alte Adresse seines Sohnes. Darauf bekam er immerhin eine kurze Antwort
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