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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball
Autoren: Stella Gibbons
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noch ein Kind war. Das Wort »Schwächling« kam ihm in den Sinn. Und dennoch: Irgendwas musste ja an ihm dran gewesen sein. Sonst hätte ein Mädel wie Viola, ein ziemlich hübsches Mädel, das sicher viele Verehrer und jede Menge Auswahl gehabt hatte, ihn wohl kaum geheiratet.
    Nicht, dass er keine gute Partie gewesen wäre: im Gegenteil. Das Mädel wusste zweifellos, auf welcher Seite ihr Brot gebuttert war, dachte Mr Wither, während er sich aufrichtete und grimmig nickte. Und heute nach dem Mittagessen würden er und Viola ein kleines Gespräch führen.
    Vorher wollte er jedoch noch den Major-General Breis-Cumwitt anrufen und mit ihm über die schlechten Nachrichten aus dem Wirtschaftsteil reden. (Er hatte mit einem schwarzen Stift sorgfältig einen Trauerrand darum herum gemacht.)
    Nicht, dass der Major-General Breis-Cumwitt viel dagegen machen konnte: eigentlich nichts. Wenn eine Anlage erst einmal so wackelig wurde, konnte man nichts tun, als sich zu beraten und gegenseitig zu trösten. Und danach würde sich Mr Wither besser fühlen (obwohl der Anruf nach London einen Shilling und drei Pence kostete).
    Punkt zehn nach zwölf fuhr das Auto von der Garage über die kurze, geschwungene Auffahrt vor und blieb vor dem Haus stehen.
    Der Chauffeur hielt sein schönes Profil geflissentlich vom Hause abgewandt: Ein korrekter Chauffeur glotzt nicht zu den Schlafzimmerfenstern hinauf oder starrt ungeduldig zur Eingangstüre. Er bleibt vollkommen unbewegt, und wenn Saxon etwas war, dann korrekt. Das Haus mit seiner dunkelgrauen Stuckfassade wirkte völlig überdimensioniert und schien sich bedrohlich über das Grundstück zu beugen. Auch im Vorgarten gab es jede Menge langweilige Sträucher, sie umrahmten die Eingangstür, zu der eine ganze Anzahl steiler Stufen hinaufführte. Die Fenster im Erdgeschoss waren mit schweren dunklen Samtvorhängen behangen, die im oberen Stockwerk besaßen weiße Halbstores mit grober Spitze, die man häufig in Krankenhausfenstern findet und die den Eindruck erwecken, dass sich dahinter große, zugige Schlafzimmer verbergen.
    Auf den zwei Säulen, die das Eingangstor flankierten, hockten zwei große Gipsadler, denen das Anwesen seinen Namen verdankte. Diese Vögel gingen Mr Wither auf die Nerven, aber er wagte nicht sich zu erkundigen, was es kosten würde, sie zu entfernen. Das Haus hatte schließlich seinem Vater gehört, dem die Gipsadler wohl zugesagt hatten, denn sonst hätte er sie ja nicht dorthin setzen lassen. Also blieben sie hocken, wo sie waren.
    Saxon merkte ganz genau, wann Mrs Wither aus dem Haus kam, auch wenn er nicht dorthin schaute. Er sprang aus dem Wagen und hielt ihr geflissentlich die Tür auf, den Finger an die Mütze gelegt.
    »Guten Morgen, Saxon. Ein schöner Tag, nicht?«
    »Guten Morgen, Madam. In der Tat, Madam.«
    »Wie schön für Mrs Theodore«, fuhr Mrs Wither fort, während ihre Füße von Saxon in eine grässliche alte Decke aus unbestimmtem Fell gewickelt wurden, die aus dem Verkehr zu ziehen sich Mr Wither strikt weigerte. »Dass sie ausgerechnet an einem so schönen Tag zu uns kommt, meine ich.«
    »Ja, Madam.«
    Mrs Wither, die sich einst gerne mit ihren Dienstboten unterhalten hatte, warf ihm einen Blick zu und sagte nichts mehr. Saxon wirkte nicht sehr gesprächig.
    Der geneigte Leser fragt sich nun sicherlich, warum um alles in der Welt jemand einen Mann wie Mr Wither heiraten konnte. Ihm sei an dieser Stelle mitgeteilt, dass es (wie man hört) einer der ältesten Gründe der Welt war: Mrs Wither fürchtete, sonst überhaupt keinen Mann mehr abzukriegen.
    Außerdem war Mr Wither in jungen Jahren nicht ganz so schlimm gewesen: Er hatte eine schneidige, forsche Art mit Frauen, fast wie eine kleine Bulldogge. Er verstand sich darauf, Kellner herumzukommandieren und sich mit den Ellbogen eine Kutsche zu erobern. Auch hatte er einen reichen Vater. Mrs Wither, die nicht romantisch veranlagt war, fand, dass sich eine junge Frau einem Mann wie Arthur Wither getrost anvertrauen konnte, und das tat sie. So schlecht konnte ihre Ehe nicht gewesen sein, denn die beiden lebten immer noch (er siebzig und sie vierundsechzig Jahre alt) gemeinsam in The Eagles, mit zwei Töchtern, einer jungen Schwiegertochter und dem Gedenken an einen toten Sohn.
    Mrs Wither tat der arme Arthur leid: Er machte sich immer solche Sorgen. In seiner Abwesenheit grübelte sie viel und fühlte mit ihm. Und obwohl sie sich in seiner Anwesenheit eigentlich nie richtig wohlfühlte und in
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