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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball
Autoren: Stella Gibbons
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seiner Abwesenheit eigentlich immer, so war sie ihm, auf ihre Art, durchaus zugetan. Mr Wither seinerseits missbilligte Mrs Wither weniger als jeden anderen Menschen, den er kannte, auch wenn er dies nie zeigte.
    Was für hochtrabende Lügen über die Ehe verbreitet werden! Dabei ist nur eines sicher: »Es werden die zwei ein Fleisch sein.«

2. KAPITEL
    Saxon fuhr langsam, denn Mrs Wither hatte, wie üblich, den Wagen viel zu früh geordert, und er hasste es, vor dem Bahnhof in Chesterbourne »blöd herumzustehen«, wie er es insgeheim bezeichnete. Die Gegend, durch die sie fuhren, bestand hauptsächlich aus Weideland, durchzogen von einigen Weizen- und Gerstefeldern. Sie besaß den unkonventionellen Charme der Grafschaft Essex: sanfte Hügel, gekrönt von kleinen Eichenwäldchen, die nun die ersten braun-rosa Blätter trieben, die funkelnden Windungen eines Flusses in einem bewaldeten Tal, in dem alle Straßen zusammenzulaufen schienen. Dazu von nah und fern das Zwitschern der Vögel, als würde das Land selbst singen. So viele von ihnen tummelten sich in Hecken und Wäldern, denn sie lieben eine Landschaft wie diese: flach, bewaldet und von Flüssen durchzogen.
    Die Landschaft um Sible Pelden, die kleine Ortschaft, der The Eagles am nächsten lag, war nahezu unbebaut. Es gab nur eine größere Straße, die nicht allzu weit entfernt an der Ortschaft vorbeilief, aber nicht nahe genug, um ihren ländlichen Charakter zu ruinieren. (Die Einwohner freilich hätten sie am liebsten mitten hindurchgeleitet.) Es war ein stiller Landstrich mit einigen wenigen einfachen Dörfern und ein oder zwei größeren Anwesen reicher Leute, die seit kaum hundert Jahren in der Gegend wohnten, was hier so gut wie nichts war. London lag nur eine gute Stunde weit weg, wenn man einen schnellen Zug erwischte. Das Meer lag dreißig Meilen entfernt, dazwischen Marschen, in denen Schwäne und viele seltene Vögel nisteten. Im Sommer schien das Land unter einer silbrigen Sonne zu dösen (es war so flach, dass der Himmel ungeheuer weit und hoch wirkte und fast wie Dunst herabzufallen schien), und im Winter wirkte es erstaunlich öde. Es gab nur zwei historisch bedeutsame Orte und keinerlei nennenswerte Sehenswürdigkeiten.
    Außerhalb von Chesterbourne war eine neue Siedlung entstanden. Als der Wagen an den nichtssagenden neuen Bungalows vorbeifuhr, fiel Mrs Wither ein, dass ihr Sohn und Viola kurz vor Teddys Tod noch überlegt hatten, ob sie nicht einen davon kaufen und hierherziehen sollten, statt weiter in ihrem kleinen Apartment in einem Vorort von London zu bleiben. Zumindest Teddy hatte davon gesprochen, Viola hatte kein Wort gesagt. Mrs Wither schloss daraus, dass Viola lieber in Greater London wohnen wollte und dass sie ein vergnügungssüchtiges Ding war, das wahrscheinlich ganz versessen auf Tanzen, neue Kleider, Lippenstift und vielleicht sogar Cocktailpartys war.
    Mrs Wither seufzte. Wie schrecklich, dass der Kummer um den toten Sohn bereits nachließ. Sie hatte um ihn getrauert, natürlich hatte sie um ihn getrauert. Sein Tod war ein Schock gewesen, ein großer Schock. Aber sie hatte ihm nie so nahegestanden wie Madgie oder sogar Tina (die allerdings manchmal recht schwierig sein konnte. Sie sagte rüde Sachen und lachte über Dinge, die überhaupt nicht witzig waren). Mrs Wither wusste selbst, dass sie mit Männern nicht sehr gut zurechtkam: sie machten sie nervös. Teddy hatte sich diesbezüglich nicht vom Rest seiner Geschlechtsgenossen unterschieden. Er war ihr fremd gewesen, selbst als kleiner Junge, auch wenn es schrecklich war, so etwas zu denken. Er hatte sich immer lieber mit anderen Müttern und Nannys unterhalten als mit seiner eigenen; selbst als Erwachsener hatte er ihr nie etwas anvertraut, war manchmal sogar ausgesprochen grob geworden.
    An dieser Stelle unterbrach Mrs Wither mit einem schlechten Gewissen ihren Gedankengang. Immerhin war sie dabei, seine Witwe in Empfang zu nehmen, eine junge Frau, die (wenn auch vergnügungssüchtig) Teddy genug geliebt hatte, um ihn aus einer ganzen Anzahl von Bewerbern zu erwählen (manche davon sicher um einiges jünger als der arme Teddy) und zu heiraten.
    Der Wagen hielt vor dem Bahnhof.
    Saxon öffnete Mrs Wither die Tür und half ihr fürsorglich aus dem Wagen. Dann eilte sie zum Ankunftsgleis, denn der Zug war bereits eingetroffen.
    Und da war sie, Viola, schlank und rank. Mit einem der neuesten Hutmodelle wirkte sie irgendwie fehl am Platz. Hellblonde, weiche Locken quollen
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