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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen
Autoren: Petra Oelker
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nach so vielen Jahren im Süden kann ich mich einfach ein bisschen hier im Norden herumtreiben.» Er erhob sich und reichte Claes die Hand. «Es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr an einem der nächsten Abende im Baumhaus mein Gast sein würdet.»
     
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    Warum nicht?, dachte Claes, als er wenig später das große, mit eleganten Schnitzereien geschmückte Portal zu seinem Haus am Neuen Wandrahm aufschob. Kosjan war zwar ein etwas befremdlicher Charakter, aber er fand es immer interessant, Menschen aus Ländern zu treffen, die er selbst nie bereist hatte. Wenn er sich als ein angenehmer Gesellschafter erweisen sollte, könnte er ihn für einen Abend nach Harvestehude einladen, auch Anne freute sich immer über Besuch aus der Ferne. Am besten fragte er Bocholt morgen genauer, wer der Fremde war und woher er ihn kannte.
    Er schritt durch die angenehm kühle Diele die wenigen Stufen zum Kontor hinauf und öffnete die Tür. Die Tische der Lehrlinge im vorderen Raum waren verwaist. Sicher hockten sie noch für ein spätes Mittagessen in der Küche. Die Tür zum hinteren Raum, in dem die beiden Herrmanns, Vater und Sohn, arbeiteten, stand weit offen. Es duftete nach Jasmin, nur ganz leicht, aber er erkannte das Lieblingsparfum seiner Frau sofort. Sie war hier gewesen, und nicht nur das, sie hatte ihm auch einen der voll erblühten Zweige aus dem Garten in Harvestehude ans Fenster gestellt. Noch vor einem Jahr hätte er Blumen in seinem Kontor für unpassend gehalten. Er lächelte. Anne St. Roberts, die seit dem letzten September Anne Herrmanns hieß, hatte viel mehr Neues in sein Leben gebracht als ab und zu ein paar Blüten für sein Kontor.
    Er schloss behutsam die Tür. Christian saß an seinem Tisch, vor ihm lagen Speicherlisten und Rechnungsbücher, aber anstatt daran zu arbeiten, starrte er aus dem Fenster. Claes gestand sich ein, dass er seinen Sohn äußerst wohlgeraten fand. Christian Herrmanns war groß und schlank, ohne ungelenk zu wirken, die Mode der taillierten Röcke und engen Kniehosen schien, anders als für manche seiner beleibteren Freunde, extra für ihn erfunden. Mit seinen grauen Augen, der geraden, eher zarten Nase und dem walnussbraunen ungepuderten Haar glich er seiner jüngeren Schwester Sophie beinahe wie ein Zwilling. Sophie lebte seit dem letzten Sommer mit ihrem Mann in Lissabon, und Claes vermisste immer noch ihren fröhlichen Lärm.
    Christian bemerkte seinen Vater nicht, er war mit seinen Gedanken ganz offensichtlich weit fort. Als Claes sich leise räusperte, schrak er zusammen.
    «Ach, du bist es, Vater. Wie war es an der Börse?»
    Claes ignorierte die Frage, die ihm als eine leere Floskel erschien.
    «Hast du jemand anderen erwartet?»
    «Nein, natürlich nicht.»
    Der Blick des jungen Mannes konzentrierte sich, und er bemühte sich um seine übliche heitere Miene. «Du solltest mal diese Abrechnungen für die Zuckerlieferungen an Marburger überprüfen. Irgendetwas stimmt da wieder nicht, aber ich kann es nicht herausfinden.»
    Claes nahm den Rechnungsbogen, legte ihn aber gleich wieder achtlos auf den Tisch.
    «Ich hatte erwartet, dich in Jensens Kaffeehaus zu treffen, mein Sohn. Sonst lässt du doch keine Gelegenheit aus, den Salonlöwen zu spielen. Nein, nein, guck nicht so betreten. Das stört mich ja nicht. Im Gegenteil, ich muss zugeben, dass ich stolz bin wie ein alter Gockel, wenn ich sehe, wie beliebt du bist, und zwar nicht nur bei den Damen. Also. Warum bist du nicht gekommen?»
    «Hier ist viel zu tun, und ich dachte, das sei wichtiger.»
    «Das Kaffeehaus gehört auch zu deiner Arbeit. Da wird ja nicht nur Kaffee getrunken und Billard gespielt, da werden oft mehr Geschäfte und Handelsbeziehungen gepflegt als in der Börsenhalle, auch wenn es Neulingen nicht so scheint. Außerdem ist es nicht nur unsere Nachrichtenbörse, man trifft da auch immer wieder Reisende aus der ganzen Welt. Es kann nur von Vorteil sein, mit Fremden zu reden, sonst wird unser Denken noch genauso eng wie die Mauern um die Stadt. Natürlich musst du selbst entscheiden, wie du deine Arbeit machst, aber es ist mir sehr wichtig, dass du auch mit jener Art unserer Arbeit vertraut wirst. Und dass die Leute den zukünftigen Chef unseres Hauses noch besser kennenlernen.»
    «Natürlich, Vater, entschuldige. Morgen werde ich da sein.» Das klang nicht sehr enthusiastisch, und Claes sah seinen Sohn, wie schon oft in den letzten Tagen, prüfend an. Christian war erst im vergangenen Herbst zur
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