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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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ich. In zwei, drei Tagen, ja dann kann Katrin vielleicht schon mehr zu sich nehmen. Aber jetzt nicht. Katie, du hast ein wachsames Auge auf diese alte Svenska, ja?«
    Weder Aggie noch Katie gefiel das, aber Doc Bates war nicht der Mensch, der sich über anderer Leute Empfindlichkeiten den Kopf zerbrach. Er war der Arzt, und man tat gut daran, seinen Anweisungen Folge zu leisten.
    Katie nickte, und der Doktor war befriedigt. »Ganz leichte Suppen. Nur leichte Suppen«, wiederholte er sicherheitshalber.
    David und Aggie wechselten einen Blick. Da stimmte etwas nicht, signalisierten sie einander. Doch sie wußten noch nicht, was, und wußten nicht, wie sie es herausbekommen sollten.
    Ben begleitete den Doktor hinaus an seinen Wagen. Die übrigen folgten und sahen noch, wie der Krankenwagen im Hof wendete, durch die Einfahrt mit großer Geschwindigkeit hinausfuhr, so als seien seine Insassen heilfroh, alles hinter sich zu haben. Das Geräusch rumpelnder Bohlen, als der Krankenwagen über die Brücke fuhr – der Fahrweg führte über eine Wiese und überquerte einen weidenbestandenen Bach –, brachte ein wenig Leben in Old Robert. Er rappelte sich auf, stand wackelig auf seinen altersschwachen Beinen, ein alter lohfarbener Köter mit einer ungewöhnlichen braunen Zeichnung um die Augen, ähnlich einer Maske. Wie ein alter Räuberhauptmann sah er damit aus. Old Robert stieß ein Krächzen aus, das wohl ein Bellen sein sollte. Die Zeiten, da er Autos – geschweige denn Krankenwagen – gejagt hatte, waren längst vorbei.
    Mit einem Blick auf den Hund und einem grimmigen Auflachen äußerte Doc Bates: »Nun Ben, sieh dir den gut an. So wird es uns auch bald gehen, wie?«

 
IV
     
     
    Da standen sie nun alle auf dem großen, weitflächigen Hof, einem Flecken Erde, begrenzt vom alten weißen Haus – abblätternder Anstrich, ausgebleichte Schindeln –, von der baufälligen Scheune, die nur noch zur Lagerung von Heuballen diente, von einem sich senkenden Getreidespeicher und von einem Maschinenschuppen, in dem Papa vermutlich aus sentimentalen Gründen die unbenutzten Werkzeuge und Ausrüstungsgegenstände einer verlorenen Zeit aufbewahrte. Da lagen alte Heurechen, Pflüge, eine Harke und ein paar Sensen, von denen die eine vom Haken gefallen war und Papa – damals war er noch ein junger Mann – die Narbe auf der Wange beigebracht hatte. Eine Mähmaschine stand da und ein uralter Heuwender. Verbeultes Gerät verschiedenster Art, ein alter Schwingstock, alte Kummete und zerrissenes Pferdegeschirr, das noch immer schwach nach dem Pferdeschweiß längst vergangener Sommer roch. Papa hatte die neueren Geräte und Maschinen vor mehreren Jahren auf einer Auktion verkauft, damals, als er mit der Landwirtschaft Schluß machte.
    Das war Katies Elternhaus, das Haus, in dem sie geboren und aufgewachsen war. Umgeben von einem Windschutz aus Kiefern und Pappeln, unter denen sie unzählige vergessene Spiele gespielt hatte, meist allein und nur manchmal zusammen mit ihrer besten Freundin aus Kindertagen, mit Judy Krause. Im Sommer wuchs das Gras hoch unter dem Hag, eine Zuflucht für Träume, eine Zuflucht vor der Zeit. Und an den Wintermorgen hing der Eismond groß und leuchtend hinter den spröden, windgeplagten Kiefern. Üppige Felder rollten dahin bis zum Fox Lake, bis zu den Wäldern, Weiden, bis an den Horizont. Heute aber wirkte alles anders, wilder, brütender, erwartungsvoller. Gewiß, Katie war drei Jahre lang fort gewesen, aber das war es nicht. Da war etwas anderes, etwas, das sie nicht genau erkennen konnte.
    Sie hatte es zuerst auf der langen Fahrt von Minneapolis her bemerkt, nachmittags mit David. Allmählich. Ein Gefühl, daß etwas Wirkliches und doch nicht Faßbares, etwas nicht Auszudrückendes vorhanden war. Etwas, das nicht in die natürliche Ordnung passen wollte, nicht ganz. Weit hinten an den Grenzen des Bewußtseins hatte eine winzige Membran sich als Vorwarnung bewegt und hatte dann Ruhe gegeben. Die Aufregung der Heimkehr, der Kummer über Mamas Gebrechen, das alles hatte dieses seltsame Gefühl dann aus ihren Gedanken verdrängt.
    Nördlich von Minneapolis erstreckt sich das Land etwa hundert Meilen in rollenden Tälern und Hügeln dahin, bewaldet, durchsetzt mit weiträumigen Flächen Farmlandes, gesprenkelt mit Seen. Die Felder waren saftig grün. Luzerne, Mais, Hafer und Weizen: die zarten Früchte des frühen Juni. Weiter im Norden wurde die Erde leichter, sandiger, und die üppigen Wälder von Ahorn,
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