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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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der Frau in die Augen, die noch immer weit offen standen vor unausgesprochenem Grauen. Ihr flehender Blick sprang von David zu Katie, dann zu Aggie Jensen, als riefe sie um Hilfe. Doc Bates aber schien das weder zu bemerken, noch kümmerte es ihn.
    »Ein wenig müde, hm?« stellte er sachlich fest. Er öffnete die schwarze Tasche und bereitete eine Spritze vor.
    Katrins Augen flehten noch immer, aber um was?
    »Gleich wird’s besser«, sagte der Arzt, rieb ihren mageren Arm ab und stach zu. Er drückte die Nadel nieder, und eine trübe Flüssigkeit wurde in die Frau gepumpt.
    »Was spritzen Sie ihr da?« wollte David wissen.
    Doc Bates sah verärgert auf.
    »Wo haben Sie Medizin studiert?« knurrte er. »Das ist ein Beruhigungsmittel.«
    »Braucht sie es denn?«
    Bates schüttelte entrüstet den Kopf. Diese Zweifler!
    »Früher hätte mich das keiner gefragt«, knurrte er wieder. »Seht nur, wie es wirkt.«
    Und so war es. Mrs. Jaspers Blick wurde trübe, immer dunkler und verschwommener. Es dauerte nicht lange, und die Lider fielen zu, kämpften dagegen an, flatterten, schlossen sich wieder.
    »Sehr starkes Zeug«, sagte der Doktor, als wäre er stolz auf das Erreichte.
    »Vielleicht ein wenig zu stark«, sagte Aggie Jensen zweifelnd und bedachte ihn mit einem abschätzenden Blick.
    »Sie sind hier zum Kochen und Saubermachen«, schnarrte Ben Jasper, »das wäre alles.«
    »Ach ja?« schoß Aggie zurück. »Das wüüürde Ihnen gefallen, wennn das alles wäääre, wie?«
    Sie begegnete seinem Blick. Und sie alle wußten, was sie meinte. Im Laufe der Zeit hatte Ben alles bis auf die »Letzten Vierzig« verkaufen müssen, einen kümmerlichen vierzig Morgen großen Rest dessen, was einst eine stolze Dreihundert-Morgen-Farm am Ufer des Fox Lake war. Ben hatte keine Söhne, die ihm helfen konnten, und schließlich hatte das Alter sich seiner bemächtigt. Und so kam es, daß sein Nachbar Otto Ronsky – einst Bens Lohnarbeiter, so bitter der Gedanke daran auch war – nun praktisch den gesamten Uferstreifen besaß mit Ausnahme von Aggies Flecken. Sie hatte dort Sommerhäuser bauen lassen, in denen Urlauber aus St. Cloud, der dreißig Meilen entfernten Stadt, die Ferien verbrachten. Und zahlten. Wenn Ben bloß auf diese Idee gekommen wäre! Otto hatte daran gedacht, geldgierig wie er war. Alle machten Geld, nur der alte Ben nicht.
    »Sieht aus, als hättest du dich verkalkuliert«, hatte Otto sich einst gebrüstet. »Man muß wissen, wie man am besten mit der Zeit geht und wie man alles anpackt.«
    Er wußte, daß Ben sich im Alter irgendwie über Wasser halten mußte und außerdem für eine kranke Frau zu sorgen hatte. Und deshalb hatte er Ben ein Angebot gemacht, ein lächerlich niedriges, für die »Letzten Vierzig«. Otto hatte Ben so gut wie in der Tasche – Otto war bereit.
    Auch Aggie schien Ben in der Tasche zu haben, allein durch die Tatsache, daß sie imstande war, dazustehen und ihm Paroli zu bieten.
    »Halten Sie den Mund«, wetterte er.
    »Papa!« mahnte Katie. David faßte sie an der Hand.
    Doc Bates klappte die große schwarze Tasche zu, stand auf und brach damit die Spannung.
    »Ich schlage vor, ihr laßt sie schlafen. Am besten, wir lassen sie allein. Aggie, Sie übernehmen die Krankenpflege, ja? Ich sage Ihnen jetzt, was sie braucht.«
    Er scheuchte sie zur Tür. Katie ließ sich nicht beirren und gab ihrer Mutter einen letzten zärtlichen Kuß.
    »Braves Mädchen«, sagte der Arzt, der sie nicht aus den Augen ließ. Er schien an etwas anderes zu denken, streckte dann die Hand aus und berührte Katies Wange. Und dabei tat sich etwas in seinem Gesicht, etwas huschte darüber hinweg, ein ganz weicher Ausdruck, wie … ja, wie? Er nahm die Hand weg.
    »Man hat von dir nicht viel zu sehen bekommen, kleine Dame, fast …«
    »Fast drei Jahre«, sagte Katie.
    Doc Bates nickte. Er kannte den Grund für diese drei Jahre. Seit drei Jahren war sie die Frau des jungen Dave Ellenwood.
    »Schön, daß du wieder da bist. Wirklich. Du weißt gar nicht, wie schön.«
    Und dann gab der Arzt Aggie Jensen seine Anweisungen.
    »Nur ganz leichte Suppe. Kein Fleisch. Kein Brot. Und die Suppe nur als klare Brühe. Mehrere Tage lang. Ich komme morgen wieder vorbei.«
    »Wird diese Diät sie nicht sehr schwächen?«
    »Der Körper muß entschlackt werden«, erklärte Bates kurz angebunden.
    Aggie blieb mißtrauisch. »Na ja …«
    »Tun Sie, was ich Ihnen sage. Sie werden doch nicht hergehen und alles vermasseln wollen, hoffe
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