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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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am anderen Ende.
    Katie wußte, daß ihr Vater die alte Schwedin nicht ausstehen konnte, die in einem der halb Dutzend Häuschen, die ihr am Ufer des Fox Lake gehörten, wohnte. »Klatschbase« und »Wichtigtuerin« waren noch die mildesten Bezeichnungen, die er für sie auf Lager hatte. Doch Aggie war hilfsbereit allen gegenüber. Und besonders gut konnte sie mit Kranken umgehen.
    »Papa?«
    »Na gut«, gab ihr Vater nach.
    »Noch etwas, Papa. Hol aus der Stadt einen Arzt.«
    »Doc Bates ist tadellos. Wir sehen uns morgen.«
    Dann legte er auf.
    Katie stand da und hielt den stummen Hören in der Hand. Sie war nahe daran, wieder loszuheulen.
    »Wird schon wieder gut«, beruhigte David sie.
    »Aber … gelähmt … arme Mama …«
    David führte sie zur Couch. Er setzte sich neben sie und hielt sie zärtlich in den Armen.
    »Diese Schlaganfälle gehen sehr oft ganz zurück«, erklärte er zuversichtlich. »Vielleicht ist es kein hoffnungsloser Fall. Das Gehirn ist ein strapazierfähiges Organ. Der menschliche Körper kann einiges verkraften.«
    »Aber Mama …«
    Katie fühlte eine starke Verbundenheit mit ihrer Mutter, der sie so stark ähnelte, und deren Name ihrem eigenen glich. Das Leben ihrer Mutter war nicht einfach gewesen. Norwegisches Einwanderermädchen. Frau eines Farmers im rauhen Norden von Minnesota, ängstlich Tieren gegenüber, mißtrauisch gegen die harten, groben Menschen. Weder kräftig noch allzu tapfer. Und Katrin hatte nicht nur darunter zu leiden gehabt, daß sie eine Tochter statt des von Ben ersehnten Sohnes bekam – das einzige Kind, das sie bekommen konnte, wie es sich herausstellen sollte –, sondern auch darunter, daß sie mitansehen mußte, wie diese Tochter, Katie, der Liebling ihres Vaters wurde.
    »Sieh mal, vielleicht schaffe ich es, morgen vom Gericht früher wegzukommen. Es besteht immerhin die Chance, daß der Fall vertagt wird und nicht zur Verhandlung kommt. Und du wirst dich auch besser fühlen, wenn du erst oben bist und helfen kannst.«
    »Aber es hört sich so schrecklich an. Und warum mußte es passieren? Mama ist doch erst acht- oder neunundfünfzig.«
    »Du hast sie seit drei Jahren nicht gesehen, und das alles war für sie sicher eine Belastung. Wir wissen ja gar nicht, was da oben passiert ist.«
    Aber sie wußten es nur zu gut.
    »Wenn wir bloß nicht geheiratet hätten und weggezogen wären …«, fing Katie an. Mehr brauchte sie gar nicht zu sagen. Sie hatten das Thema hundertmal besprochen.
    »Hättest du es anders gewollt? Es war dein Vater, der sagte, du solltest nicht zurückkommen, falls du mit mir gehen wolltest. Du warst siebenundzwanzig – alt genug, um deine Entscheidungen selbst zu treffen. Und wenn du mich fragst, dein Alter ist ein sonderbarer Mensch. Nicht nur sonderbar, auch …«
    »Nicht. Nicht schon wieder.«
    Die alte Geschichte. Der empfindliche und aggressive David wollte den alten Ben aus Katies Zuneigung verdrängen. Und er war der Meinung gewesen, er hätte es geschafft, als sie das Dorf verließen. Und Katie mit ihrer unwandelbaren und unausrottbaren Liebe für den Vater ihrer verlorenen Mädchenzeit, einer Liebe, die andauern würde, egal, was kommen mochte. Die drei Jahre der Trennung, die sie mit Leichtigkeit Ben hätte anlasten können – schließlich war er es gewesen, der gesagt hatte »Kommt nicht zurück« –, wandten sich nun gegen sie und bewirkten, daß sie sich sogar schuldig fühlte, unaufrichtig in ihrer Liebe und nicht anhänglich genug.
    »Ach, David, hoffentlich … werfen diese Sorgen nicht meinen Zeitplan über den Haufen … das Baby …«
    »Ach was, jetzt mach dir deswegen keine Sorgen«, besänftigte David sie. Er faßte unter ihr Kinn und küßte sie. »Sonst kommst du durcheinander. Die Ärzte haben alles fein säuberlich ausgerechnet. Nächsten Dienstag, den Zweiundzwanzigsten. Das nenne ich ein Datum.«
    Und er küßte sie noch einmal.
    »Es muß klappen«, sagte sie. »Andernfalls brauchen wir diese Hormonpräparate. Und ich möchte keinesfalls Fünflinge. Nur ein einziges kerngesundes Baby.«
    »Jede Wette, daß es ein strammer Junge wird. Würde das deinen Alten nicht glücklich machen?«
    »Bitte, nenne ihn nicht meinen Alten«, sagte Katie. Sie machte eine Pause. »Ein Baby, vielleicht ein Junge. Ich fürchte, für Papa kommt es zu spät.«
    »Jetzt geht es um unser Leben, nicht seines«, erklärte David. Er sagte es mit einem Anflug von Trotz, so als glaube er selbst nicht recht
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