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Der Sommer der Frauen

Der Sommer der Frauen

Titel: Der Sommer der Frauen
Autoren: Mia March
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nach Maine und besuch deine Familie. Es ist schon eine ganze Weile her, oder? Weißt du was? Bleib doch gleich übers Wochenende. Oder länger.»
    Isabel hatte Lolly, June und Kat tatsächlich seit Weihnachten nicht mehr gesehen. Inzwischen war August. Zwei Treffen im Jahr, zu Thanksgiving und zu Weihnachten, mehr Miteinander schienen sie alle vier nicht zu ertragen.
    Bleib doch gleich übers Wochenende … oder länger …
Hatte er etwa vergessen, dass am Dienstag ihr zehnter Hochzeitstag war?
    «Worum geht’s bei Lollys großer Ankündigung gleich wieder?», hatte er heute Morgen gefragt, ohne sie anzusehen, die Finger auf der Tastatur seines iPhones.
    Er hörte ihr überhaupt nicht mehr zu. Sie machte sich, seit ihre Tante angerufen hatte, ununterbrochen Gedanken. Es sah Lolly überhaupt nicht ähnlich, sie drei – beziehungsweise zwei, ihre Cousine Kat lebte bei Lolly in der Pension – so herbeizuzitieren. Isabel vermutete, dass ihre Tante plante, das Three Captains’ Inn zu verkaufen, und da die drei Mädchen in dem Haus aufgewachsen waren – na ja, Isabel zumindest, seit sie sechzehn war –, hatte Lolly, ansonsten der nüchternste, unsentimentalste Mensch auf Erden, vielleicht ausnahmsweise das Bedürfnis, ihnen diese Neuigkeit persönlich zu verkünden. Lolly würde dies mit derselben Leidenschaft tun, wie sie erzählen würde, dass die Lilien in diesem Sommer besonders gut geduftet hatten. Danach würden sie alle wieder ihrer Wege gehen. Lolly würde zum Kinoabend mit ihren Gästen in den Aufenthaltsraum verschwinden, wie jeden Freitag, June würde stundenlang draußen auf der Terrasse mit ihrem Sohn Charlie Legotürme bauen, um nur ja nicht in der Stadt aus Versehen irgendeinem bekannten Gesicht über den Weg zu laufen. Und Kat – tja, Kat würde versuchen, Isabel aus dem Weg zu gehen.
    Isabel hoffte tatsächlich, ihre Tante wollte die Pension verkaufen. Dieses Haus war für keine von ihnen ein Hort glücklicher Erinnerungen.
    Hör mir zu. Sieh mich an. Nimm mich wieder wichtig
, hatte sie Edward telepathisch zugerufen. Doch der war immer noch mit seiner ganzen Aufmerksamkeit bei seinem iPhone gewesen. «Das hat Lolly nicht gesagt», hatte sie geantwortet. «Aber ich wette, sie will uns verkünden, dass sie die Pension verkauft.»
    Er hatte abwesend genickt, auf die Uhr gesehen, nach seiner Geldbörse gegriffen und war aufgestanden.
    Das war alles? Kein Kommentar? Keine nostalgischen Gefühle für den Ort, wo sie so viele Nächte, zwischen uralten Eichen liegend, im Garten verbracht hatten, um die Sterne zu betrachten? Wo sie Pläne geschmiedet hatten, über so viel mehr als über die Kinder, die sie niemals haben würden?
    Kein Kommentar. Kein gar nichts.
    *****
    Isabel starrte den anonymen Brief an, der aus ihrer Tasche ragte. Sie las ihn noch einmal durch. Schob ihn wieder in den Umschlag zurück.
    Ihr Mann hat eine Affäre …
    Wollte
sie es wirklich wissen? Es gab Ehefrauen, die mit Absicht wegsahen, aus komplizierten und weniger komplizierten Gründen. Außerdem konnte es sich tatsächlich um ein Missverständnis handeln. Ein Auto, das Edwards Wagen glich. Ein Mann, der durch eine Hintertür huschte und Edward zufällig ähnlich sah. Wenn sie jetzt aber tatsächlich herausfand, dass Edward sie betrog, was dann? Würde er sie um Verzeihung bitten? Würden sie versuchen, es durchzustehen? Würde er ihr schwören, es hätte nichts zu bedeuten, und dass er in Wirklichkeit nur sie liebte?
    Nur dass er sie in letzter Zeit gar nicht mehr zu lieben schien. Seit geraumer letzter Zeit eigentlich. Vielleicht würde er auch gar nicht so tun, als ob.
    Sie könnte den Brief zerknüllen und so tun, als hätte sie ihn nie bekommen. Als wäre er tatsächlich für eine andere bestimmt gewesen. Isabel schloss die Augen und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Ihr zitterten die Knie. Egal was dabei herauskam, sie brauchte Gewissheit.
    Außerdem war es gerade 18 : 25 Uhr.
    Isabel warf dem Teigklumpen auf der hölzernen Arbeitsplatte einen letzten Blick zu, schob den Umschlag zurück in die Tasche und fuhr die kurze Strecke zur Hemingway Street hinüber. Hausnummer 56 war das letzte Haus in der Straße, mit stattlichen Säulen im neoklassischen Stil. Isabel fiel auf, dass sie schon einmal hier gewesen war, zu einer Versammlung vor ein paar Jahren, um irgendein lokalpolitisches Referendum zu besprechen, das zur Wahl stand.
    Wer wohnt hier?
Verzweifelt versuchte sie, sich zu erinnern, während sie ein paar Häuser
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