Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
Vom Netzwerk:
um der Hitze zu entkommen? Vielleicht trinken sie einen Tee in dem Café, wo es diese guten Scones gibt. Und dann ein bisschen spazieren gehen, Arm in Arm, zum Luftschnappen, mit ein paar Leuten reden. Es war wichtig, ihn zu beschäftigen. Seit er in Rente ist, langweilt er sich, wenn er nicht ab und zu unter die Leute kommt. Und wenn er sich langweilt, fängt er an zu grübeln und kriegt seine Depressionen. Gern organisiert sie für ihn deshalb diese gemeinsamen Ausflüge.
    Durch die gute Stube geht sie in den Flur, öffnet die Haustür und tritt hinaus auf den kleinen Weg, der halb von dem rostigen Fahrrad versperrt ist. Robert benutzt es noch ab und zu. Sie sieht nach links, sie sieht nach rechts. Sie sieht, wie die Katze der Nachbarn einen Buckel macht und dann mit diesen etepetete-kleinen Schritten weiter an der Mauer entlangschleicht – genau bis zum Fliederbusch, wo sie sich die Krallen wetzt. Die Straße ist leer, kein Mensch ist bei der Hitze draußen. Etwas weiter versucht ein rotes Auto umständlich zu wenden. Über ihr krächzt eine Elster und stürzt sich in eine scharfe Kurve, bis ein Flügel direkt nach unten weist. In der Ferne quält sich ein Bus den Hügel hoch, ein Kind auf einem Tretroller kommt vorbei, und irgendwo schaltet jemand ein Radio ein. Gretta stemmt die Hände in die Hüften, ruft nach ihrem Mann, einmal, zweimal, aber die Gartenmauer wirft den Namen unbeantwortet zurück.

Stoke Newington, London
    M ichael ist die ganze Strecke von der U-Bahn-Station Finsbury Park gelaufen. Bei der Bullenhitze eigentlich eine idiotische Idee, selbst zu dieser Tageszeit. Doch als er aus der U-Bahn nach oben kam, steckte alles im Dauerstau. Auch die Busse standen wie festgeklebt auf dem weichen Asphalt. Also machte er sich zu Fuß auf den Weg, vorbei an Fassaden, die eine infernalische Wärme abstrahlten und die ganze Straße in eine Art Durchlauferhitzer verwandelten, in dem Menschen nur verkümmern konnten.
    Schwitzend, keuchend bleibt er unter den Bäumen am Clissold Park stehen. Er nimmt sich die Krawatte ab, zieht das Hemd aus der Hose, besieht sich die von der Trockenheit angerichteten Schäden ringsum. Der Park ist längst nicht mehr die grüne Lunge, die er so geliebt hat. Seit frühester Kindheit sind sie in diesen Park gegangen, und seine Mutter packte das Picknick dazu ein: hartgekochte Eier, bläulich unter der Schale, Wasser, das nach Plastikflasche schmeckte, dazu ein Rosinenbrötchen. Aber jeder musste seine Tüte selber tragen, sogar Aoife, darauf legte sie Wert. »Es drückt sich keiner«, sagte sie, als sie am Ausstieg des Busses standen, und zwar in einer Lautstärke, dass die anderen Fahrgäste sich nach ihnen umdrehten. Er erinnert sich, wie er Aoife in ihrem gestreiften Kinderwagen über den Weg am Außenzaun schob, wie seine Mutter die kleine Monica ins Planschbecken locken wollte. Er denkt an einen Park zurück, der eine Welt aus Grünnuancen war, mit smaragdgrünem Gras, einem Planschbecken mit tanzenden Reflexen aus Grünspan, dem limettengrünen Licht unter den Baumkronen. Doch jetzt ist die Wiese eine ver brannte Ockerfläche, durch die der nackte Boden scheint, und die Bäume lassen in der reglosen Luft vorwurfsvoll die Blätter hängen.
    Er atmet tief durch, und die staubtrockene Luft reizt dabei seine Nasenschleimhaut. Er sieht auf die Uhr. Kurz nach fünf. Er sollte nach Hause gehen.
    Heute war letzter Schultag, heute ist Ferienbeginn. Er hat es geschafft. Sechs Wochen lang keine Klassenarbeiten kor rigieren, kein Unterricht, kein frühes Aufstehen und kein Schulweg. Seine Erleichterung ist so groß, dass sie sich sogar körperlich äußert, als schwereloses Schwindelgefühl in seinem Hinterkopf. Durch eine einzige überhastete Bewegung könnte er jetzt ins Taumeln geraten, so befreit, so entfesselt fühlt er sich.
    Er setzt seinen Weg fort, nimmt die Abkürzung über die vertrocknete Wiese, wo ihm die Sonne direkt ins Gesicht brennt, vorbei an dem geschlossenen Café, in das er als Kind immer wollte, was aber nie geklappt hat. »Das sind moderne Wegelagerer«, lautete der Kommentar ihrer Mutter, während sie die Sandwiches aus ihrem butterbrotpapierenen Leichentuch wickelte.
    Der Schweiß bricht ihm aus, läuft vom Haaransatz über die Stirn, über den Nacken am Rücken hinunter. Seine Füße bewegen sich ruckweise und finden keinen Halt. Nicht zum ersten Mal fragt er sich, wie die anderen ihn sehen. Als Familienvater, der von der Arbeit heimkehrt, wo die Familie, das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher