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Der Sokrates-Club

Der Sokrates-Club

Titel: Der Sokrates-Club
Autoren: Nathalie Weidenfeld , Julian Nida-Ruemelin
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Weltanschauung. Aber stoizistisches Denken lebt im christlichen Ethos bis in unsere Tage fort. Die aktuelle Auseinandersetzung um Selbstbestimmung am Ende des Lebens, die Frage, ob Patiententestamente verbindlich sind, ob es legitim sei, zu bestimmen, wann und unter welchen Umständen man aus dem Leben scheidet, die die Parlamente, auch den deutschen Bundestag, intensiv beschäftigt, hat man als späten Widerhall der Übereinstimmungen, aber eben auch des Konflikts zwischen stoizistischer und christlicher Ethik zu interpretieren. Der Stoiker strebt nach der uneingeschränkten Kontrolle des eigenen Lebens und der eigenen Gefühle. Er nimmt seine Verantwortung so ernst, dass er sich auch von seinen eigenen Gefühlsregungen nicht beeinflussen lassen will. Auch der christliche Priester verlangt von seinen Gemeindemitgliedern, dass sie ihre Triebe kontrollieren, dass sie ein gottgefälliges Leben führen und Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen. Aber zugleich verlangt er Demut vor dem Schöpfer und hält den Wunsch, auch über das eigene Leben und den eigenen Tod bestimmen zu wollen, für einen Frevel wider die Allmacht Gottes.
    Dieses Beispiel zeigt, dass man Philosophie, jedenfalls im Sinne der Antike, nicht lediglich als Streben nach Erkenntnis interpretieren darf. Sie versteht sich zumindest auch als Lebenskunst und philosophisches Nachdenken und hat seit der Antike immer auch einen kontemplativen, meditativen, die eigene Lebenseinstellung prägenden Aspekt. Weisheit ( sophia ) ist mehr als Wissen.
    Die zeitgenössische Philosophie wird meist in drei große Bereiche unterteilt: Theoretische Philosophie, Praktische Philosophie und Geschichte der Philosophie.Die theoretische Philosophie widmet sich Fragen der Erkenntnis, umfasst also zum Beispiel Logik und Erkenntnistheorie, auch Metaphysik und Ontologie. Die Praktische Philosophie befasst sich mit Fragen des Handelns, der menschlichen Praxis. Zur ihr gehören neben der Ethik auch die Politische Philosophie, die Rechts- und Sozialphilosophie, welche teilweise auch in den juristischen Fakultäten angesiedelt ist. Die Geschichte der Philosophie befasst sich vor allem mit den Klassikern und deren Texten, aber auch der Entwicklung des philosophischen Denkens in den einzelnen Epochen.
    Einteilungen dieser Art sind immer umstritten und geben zu Missverständnissen Anlass. Zudem können die Grenzen zwischen diesen Teildisziplinen nicht scharf gezogen werden. Zu welchem Bereich etwa will man die Anthropologie zählen, also diejenige Disziplin, die sich damit befasst, was den Menschen ausmacht, was seine spezifischen Merkmale sind? Auch die Sprachphilosophie ist nicht eindeutig zuzuordnen. Gehört sie eher zur theoretischen Philosophie, da es um Verständigung, um Begründung, um unser sprachlich verfasstes Weltverständnis geht? Oder ist die Sprachphilosophie Teil der praktischen Philosophie, da die Sprache vor allem als gesprochene Sprache und das heißt als ein Teil menschlichen Handelns im Mittelpunkt steht? Diese Zuordnung ist also schon wieder abhängig von bestimmten philosophischen Auffassungen und daher problematisch.
    Zudem gibt es bis heute einen Streit, wie man Philosophie als Disziplin eigentlich verstehen soll. Geht es in erster Linie um die historische Darstellung der Entwicklung philosophischen Denkens? Der Philosoph Wolfgang Stegmüller war der Meinung, dass es zwei ganz unterschiedliche Disziplinen gibt, die miteinander wenig zu tun hätten: einmal eine historische Disziplin, die sich mit der Geschichte des philosophischen Denkens auseinandersetzt, und zum anderen die Philosophie, die in systematischer Weise bestimmte Fragen zu klären sucht, etwa die, was eine Überzeugung begründen könnte oder wie der Zusammenhang zwischen Theorie und Beobachtung (eine fundamentale wissenschaftstheoretische Fragestellung) beschaffen ist, wie die Kriterien richtigen Handelns zu formulieren sind etc. Ähnlich verhält es sich mit der Geschichte der Physik, die eine ganz andere Disziplin ist als die Physik und in der Regel im Fach selbst gar keinen Ort hat, sondern in der Geschichtswissenschaft. Dem wird allerdings zu Recht entgegengehalten, dass– anders als in der Physik– die Klassiker der Philosophie für uns heute noch von großem– nicht nur historischem, sondern auch systematischem– Interesse sind.
    Die Physik des Aristoteles, auch die des Thomas Hobbes aus dem 16. Jahrhundert, sind heute dagegen nur noch von historischem Interesse, sie sind
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