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Der Sohn meines Feindes

Der Sohn meines Feindes

Titel: Der Sohn meines Feindes
Autoren: France Carol
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ihn gebeten. Das war wohl einfacher gesagt als getan. Luca hatte keine Ahnung, wie er an Tomek ran kommen sollte.
    ***
    In den nächsten Tagen verbrachten sowohl Luca wie auch Tomek jede freie Minute bei Erwin. Man hatte ihm ein Einzelzimmer beschafft, so dass sich niemand daran störte, dass die Vorschriften der Besuchszeit oft nicht eingehalten wurden. Alle wussten, dass Erwin im Sterben lag und waren daher nachsichtig.
    Bereits am ersten Tag hatte Erwin Tomek verboten, das Tattoo-Studio geschlossen zu halten, daher war Luca oft alleine bei Erwin während Tomek arbeitete. Erwin schlief viel, so dass Luca dann seine Hausaufgaben erledigen konnte. Zwei Tage nach Erwins Einlieferung wurde er plötzlich durch ein Räuspern von seinen Aufgaben abgelenkt.
    „Du musst mit ihm Geduld haben, Luca“, sagte Erwin mit belegter Stimme.
    „Was hast du gesagt?“, fragte Luca nach.
    „Tomek. Du musst mit ihm Geduld haben. Seine Seele hat grossen Schaden davongetragen und ist verletzt.“ Das Sprechen schien Erwin schwerzufallen.
    Luca nickte, nahm seinen Stuhl und setzte sich näher zu Erwin. „Ich weiss nicht, wie ich das hinbekommen könnte. Er lässt mich nicht an sich ran.“
    „Er hat viel Schlechtes erlebt, deshalb hat er sich eine sehr dicke Schale zugelegt. Die musst du erst durchbrechen. Es lohnt aber, sich die Mühe zu machen“, entgegnete Erwin lächelnd.
    Luca sah Erwin einen Moment nachdenklich an. Er wusste, er würde von Tomek nie erzählt bekommen, was dieser mitgemacht hatte. Also entschied er sich nun, Erwin zu fragen. „Wo hast du ihn kennengelernt?“
    „Ich hatte schon befürchtet, du würdest mich nie fragen.“ Erwin lachte kurz auf. „Ich hab in blutig geschlagen in einer Gasse gefunden, er war gerade mal 17 Jahre alt. Ein Freier, der wohl nicht zahlen wollte, hatte ihn so zugerichtet.“
    Schockiert sah Luca Erwin an. „Er ist auf den Strich gegangen?“
    „Irgendwie musste er sich doch das Geld zum Überleben verschaffen, oder?“
    „Aber… aber er hätte doch wieder nach Hause kommen können. Das wäre doch bestimmt besser gewesen, als sich zu prostituieren, oder?“, entgegnete Luca betroffen.
    „Bist du dir da so sicher?“ Die Art, wie Erwin diese Frage stellte, liess Luca aufhorchen.
    „Wie meinst du das? Sicher, mein Vater hat ihn mehr als unsanft angepackt, aber irgendwann wäre er ihm körperlich überlegen gewesen, und hätte sich nicht mehr vor Schlägen ängstigen müssen“, antwortete er überzeugt.
    Erwin blickte Luca nachdenklich an und sagte dann leise: „Es waren aber nicht die Schläge, die Tomek dazu brachten, von zuhause abzuhauen.“
    Es dauerte einige Zeit, bis die Bedeutung von Erwins Worten bei Luca ankamen. „Es waren nicht die Schläge? Aber was war es dann?“, fragte er verwirrt.
    Erwin wandte den Blick ab. „Ich denke, das muss er dir schon selbst erzählen. Es ist aber wichtig, dass du ihn dazu bringst, Luca. Es wird Zeit, das Tomek endlich mit seiner Vergangenheit abschliesst. Ich glaube er ist wirklich der Meinung, er habe das bereits getan. Aber als du aufgetaucht bist, sind seine alten Wunden wieder aufgerissen. Du musst ihm helfen, Luca. Versprich es mir.“
    Gerührt nahm Luca Erwins Hand und drückte sie leicht. Anscheinend lag Erwin Tomeks Seelenheil sehr am Herzen und er musste sich eingestehen, dass es ihm genauso ging. Noch bevor er weiter mit Erwin reden konnte, wurde kurz an der Tür geklopft und Tomek trat ein.
    Luca erhob sich, überliess ihm den Platz und verabschiedete sich, um den beiden Zeit füreinander zu lassen.
    ***
    Völlig fertig kam Tomek nach Hause. Erwins Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag, niemand wusste, wie viel Zeit ihnen noch bleiben würde. Der Gedanke an Erwins bevorstehenden Tod deprimierte ihn, er würde wieder ganz allein auf der Welt sein.
    Schon als er die Tür aufgeschlossen hatte, war ihm Essensgeruch entgegengekommen. Auch wenn er nicht sonderlich hungrig war, würde er sich hinsetzen und etwas essen, schliesslich machte sich Luca jeden Tag die Mühe, ihm etwas Warmes vorzusetzen.
    Schweigend setzte er sich an den Tisch und wartete, bis Luca ihm den dampfenden Teller hinstellte. Ohne Appetit stocherte er im Essen herum und zwang sich dazu, wenigstens ein paar Bissen zu sich zu nehmen.
    „Du musst das essen, Tomek“, sprach Luca ihn leise an.
    Ohne aufzublicken antwortete er: „Ich habe keinen Hunger.“
    „Ich weiss, aber es hilft Erwin nicht, wenn du auch noch krank wirst. Er braucht dich jetzt.“
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