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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers
Autoren: Richard Dübell
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leise schwankende Gestalt. Die Chorknaben knieten jetzt auf dem Boden, mit gesenkten Köpfen und vor dem Gesicht gefalteten Händen.
    Ich erinnerte mich an die Gruppe, die laut den Namen des Mönchs skandiert hatte, als wäre er eine besondere Volksbelustigung.
    Sie hatte mir keine Sorge bereitet.
    Ich betrachtete das kleine Grüpplein, das vor der Staffelei stand und flüsternd diskutierte. Der langnasige Bursche mit dem ausgefransten Mantel war unter ihnen und redete mit Händen und Füßen. Alle trugen die Mienen von Leuten zur Schau, die sich auf einmal am Beginn einer Erkenntnis finden.
    Aus dem einen Reiskorn waren zwei geworden.
    Sie machten mir Sorgen.
    »Worauf warten Sie, Herr Bernward?«
    Ich riss mich vom Anblick des gestikulierenden Mannes los. In all ihrer plötzlichen Leere wirkte die Gasse vor dem Kirchenportal riesengroß und die Leute um den Mönch wie von einem Künstler dort aufgestellt. Sie sahen aus wie eine Kreuzigungsgruppe; wie die schockierten Apostel zu Füßen des Erlösers, bereit, sein Wort in die Welt zu tragen.
    »Ich komme«, sagte ich.
    Vom Marktplatz her trug der Wind das leise Echo des kollektiven Seufzers einer großen Menge. Der Henker hatte den Verurteilten von der Leiter gestoßen. Unmelodisch und kreischend setzte Musik aus Drehleiern, Hümmelchen und Schalmeien ein. Eine Gauklertruppe spielte für den Bettler auf, und dieser tanzte mit der Seilerstochter seinen letzten grässlichen Tanz.

Kapitel 2
    21. Tag im Brachmonat, 1486 a.d.
Sommersonnwende

    Libera me Domine de morte aeterna
    In die illa tremenda
    Quando caeli movendi sunt
    Caeli et terra
    Dum veneris judicare
    Ich platzte in den grossen Saal im Obergeschoss, in dessen hellster Ecke Janas Schreibpult stand. Jana sah von den Papieren auf, die sich darauf türmten.
    »Ist Paolo bei dir?«, fragte ich.
    Jana sah mich an. »Wir sind pleite«, sagte sie dann.
    Ich stieg über die schmalen Holzplatten, die ordentlich geschichtet quer durch den Raum lagen, stieß mir das Schienbein an der obersten Platte und humpelte stöhnend zu Jana hinüber. »Wieso liegen diese Dinger jetzt schon hier herum?«
    »Ich bin hier, Herr Vater.« Paolo stand mit hängendem Kopf neben dem Schreibpult. Er sah aus, als wünschte er sich im nächsten Augenblick in eine Salzsäule zu verwandeln. Ich zog fragend die Augenbrauen hoch; sein Gesicht blieb blass und tragisch, aber er nickte knapp.
    »Hast du gehört? Absolut und vollkommen pleite.« Jana sah auf den Brief in meiner Hand, und ich erkannte, dass ich seit meinem Hereinkommen damit herumwedelte wie ein päpstlicher Legat, der eine Bannbulle an den Mann bringen will. Ich ließ die Hand sinken.
    »Endlich die erlösende Nachricht?« Jana lehnte mit einem Ellbogen auf den Unterlagen auf dem Schreibpult; die Schrift auf dem Papier (vielfach abgekratzt und öfter gebraucht als ein altes Hemd) war uneinheitlich, fiel in alle Richtungen zugleich um und war an den Stellen zerlaufen, an denen das Schabmesser die Oberfläche des Papiers zu sehr angegriffen hatte. Janas Lippen waren zusammengekniffen. Ich horchte ihrer bissigen Bemerkung hinterher.
    »Du bist am schönsten, wenn du dich ärgerst«, erklärte ich.
    »Wie wäre es mit einem Laut der Betroffenheit über das, was ich gesagt habe, anstatt nur darüber zu meckern, dass ich schon daran gedacht habe, die Sitzbänke hier heraufschaffen zu lassen?«
    »Jana, ich hab’s eilig … und wir können nicht bankrott sein. Was ist mit den Einkünften meiner Firma in Landshut?«
    Sie musste nicht einmal in die Unterlagen blicken. »Machst du Witze? Der Versuch, das Desaster mit diesen verdammten Schiffen durch eine riskante Geschichte mit Damaszener Stahl zu kompensieren, ist total danebengegangen … und wo noch dazu etliches durch Anleihen finanziert worden ist …«
    »Das wird sich schon richten.«
    »Das wäre schön … außerdem …«
    »Außerdem was?«
    Paolo gab einen kleinen Laut von sich wie ein Hündchen, das man am Genick packt und gerade in die Lache tunken will, die es schon wieder auf den sauber geputzten Küchenboden gemacht hat.
    »… sind einige davon wiederum durch Kredite bei jüdischen Geldverleihern gedeckt, die Zinsen verlangen wie zu Zeiten der Kreuzzüge.«
    »Du lieber Himmel«, sagte ich und schickte mich darein, meine eigenen Besorgungen noch ein wenig aufzuschieben. Der Brief brannte förmlich in meiner Hand, aber ich steckte ihn vorne in mein Wams und legte Jana eine Hand in den Nacken.Sie sträubte sich einen Moment,
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