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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers
Autoren: Richard Dübell
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zuvor, aber sie blinzelte mir zu.
    »Verwundete Türken«, sagte sie, »werden einer echten Polin nur dann gefährlich, wenn sie es zulässt.«
    »Herr Vater, sind Sie wirklich verwundet?«, fragte Paolo.
    »Nein«, sagte ich und lachte. Ich rubbelte ihm über den Kopf. Ich musste weit dazu hinunterfassen: Paolo hatte die Zartheit seiner leiblichen Mutter übernommen, gemischt mit dem wilden Haar und dem dunklen Teint seines venezianischen Vaters. Wenn ich ihn manchmal betrachtete und in seiner Gestalt Fiuzetta und in seinem Aussehen Fabio Dandolo wiedererkannte, wartete ich jedes Mal auf den Stich der Eifersucht, dass dieses Kind, das wir nach seiner Geburt zu uns genommen hatten, nicht unser eigen Fleisch und Blut war. Es kam regelmäßig ein Stich, aber einer aus plötzlich emporschäumender Liebe und Zuneigung, die sich nicht nur auf Paolo, sondernauch auf seine Mutter erstreckte. Es schien, dass Jana meine Gedanken gelesen hatte.
    »Paolo darf nicht vergessen, den Brief an Fiuzetta zu schreiben. Die Kaufleute, die nach Venedig reisen, wollen in ein paar Tagen aufbrechen.«
    »Ich hoffe, es geht ihr immer noch gut.«
    »Paolo Calendar und Michael Manfridus werden schon ein Auge auf sie haben.«
    »Du weißt, wie leicht es ist, als Hebamme verleumdet zu werden.«
    »Sie wird schon auf sich aufpassen, Peter.«
    »Paolo Calendar ist jetzt im Zwölferrat, habe ich dir das mitgeteilt?«
    »Mehrfach.«
    »Ist das der Mann, dessen Namen ich trage?«, fragte Paolo.
    »Du trägst eine ganze Reihe von Namen, mein Lieber«, lachte Jana.
    »Paolo für einen aufrechten Mann in Venedig, Karol für meinen Großvater hier in Krakau, Peter für meinen Herrn Vater«, zählte Paolo sofort auf.
    »… und für Bischof Peter von Schaumberg«, setzte ich leise hinzu. Jana lächelte mich an.
    »Also gut, mein Junge«, sagte ich. »Da wir bankrott sind, wie es scheint, gibt es hier nichts mehr zu rechnen. Spring ins Kontor hinunter und sieh zu, ob du dich bei den Buchhaltern nützlich machen kannst.«
    »Kann ich nicht in den Laden gehen, Herr Vater? All die Waren und Dinge aus den fremden Städten … ich könnte dem Ladenjungen doch beim Sortieren helfen und …«
    »Verschwinde«, sagte ich und grinste. »Dass ich nachher nicht hören muss, du hättest den halben Laden durcheinander gebracht.«
    Paolo warf Kusshände und schoss wie ein Bolzen an uns vorbei. Jana sah ihm nachdenklich hinterher.
    »Womit haben wir diesen Engel verdient?«, fragte sie.
    Ich legte die Arme um sie. Sie erwiderte meinen Blick, bis sie zu kichern anfing. »Was starrst du mich so an?«
    »Wir sind eine ganze Strecke weit gegangen, wir beide, was?«
    »Wenn das der Anfang einer Rede sein soll, die damit endet, wie alt und grau ich während dieser Zeit geworden bin, dann sieh dich vor!«
    Ich beugte mich nach vorn und küsste sie sanft auf einen Augenwinkel. Natürlich waren dort mehr Krähenfüße als vor zehn Jahren, und natürlich wies ihr Haar an einigen Stellen weniger einen honig- als vielmehr einen aschblonden Stich auf; aber – wenn ich ehrlich sein wollte – ich liebte diese nichtigen Unzulänglichkeiten nur umso mehr, da ich Zeuge geworden war, wie sie über all die Jahre entstanden waren.
    »Wenn etwas nicht in Ordnung wäre, würdest du es mir sagen, oder?«
    »Was soll nicht in Ordnung sein?«
    »Ich meine ja nur …«
    Sie kniff mich in die Seite. »Es ist eine Weile her, seit du das letzte Mal Gespenster gesehen hast.«
    »Die Gespenster holen einen immer wieder ein.«
    Sie schmiegte sich an mich. Ich drückte sie heran und strich ihr über den Rücken. In meinen Armen fühlte sie sich immer noch wie die sehnige junge Frau an, die ich damals in Landshut kennen gelernt hatte.
    »Die Situation erinnert mich …«, begann ich.
    Sie versteifte sich in meinen Armen; kaum merklich, aber ich spürte es doch.
    »Woran erinnert sie dich?«
    »Als wir uns in Ulm wiedertrafen, nachdem wir uns in Landshut verabschiedet hatten«, sagte ich lahm. Ich wusste schon, bevor sie sich aus meinen Armen frei machte, dass der kurze Augenblick der Nähe, den wir in der Hektik der letzten Wochengefunden hatten – und einem beginnenden Aneinander-Vorbei-Reden, in dem wir beide groß waren und das zwischen uns nie Raum gewinnen durfte, weil die Gefahr bestand, dass es in langes Schweigen ausartete –, dass dieser Augenblick schon wieder vorüber war.
    »Wieso an Ulm?«, fragte sie.
    »Da fielen wir uns auch in die Arme, und gleich darauf wusste keiner, was er dem
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