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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers
Autoren: Richard Dübell
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nur Augenblicke später. Bruder Avellino auf der Staffelei geriet ins Wackeln, dann ins Taumeln, seine Arme breiteten sich aus und begannen um Gleichgewicht zu rudern … die Chorknaben flatterten um ihn herum und machten mit ihren hektischen Bemühungen, ihn zu stützen, alles noch schlimmer … auf einmal schwang die eine Hälfte der Staffelei nach oben und beschriebeinen Bogen und knallte wieder zurück auf die Erde, und es sah aus, als habe sie einen großen Schritt getan und der Menge einfach den Rücken zugekehrt, und der Mönch, der jetzt in die falsche Richtung hinaussah, wirbelte mit den Armen und versuchte nicht herunterzufallen … die andere Hälfte der Staffelei hob sich … die ersten Zuhörer begannen zu kichern … und dann wurde ihnen allen plötzlich bewusst, welche Zeit die Kirchenglocken schlugen und dass sie eigentlich alle für die Mittagszeit etwas ganz anderes vorgehabt hatten, als einem Hetzprediger zu lauschen. Sie sahen sich betroffen an, dann kam Bewegung in die verkeilte Masse. Auf dem Marktplatz hatte der Bettler seine Verabredung mit dem Tod, und sie planten, ihm alle dabei zuzusehen.
    Die Staffelei neigte sich bedenklich zur Seite, Bruder Avellino warf sich wie ein Reiter in die entgegengesetzte Richtung, sie knallte zurück … und stand wieder wie zuvor. Das Gesicht des Mönchs war so dunkelrot, dass es mir selbst von der Ferne auffiel. Er setzte an, etwas zu sagen, dann klappte er den Mund wieder zu und zog in einer Geste, die beredter war als all sein demagogisches Geplärr, die Kapuze über den Kopf, faltete die Hände und versenkte sich in die Position eines inbrünstigen Gebets. Seine ehemaligen Zuhörer drängelten und schubsten ungeduldig an ihm vorbei.
    Friedrich von Rechberg schien wie aus einer Besinnungslosigkeit zu erwachen. Er schüttelte sich.
    »Haben Sie das … haben Sie das mitbekommen? Er hatte die Menge mit einem Mal im Griff wie … wie … wenn er noch ein paar Augenblicke Zeit gehabt hätte, hätte er sie dazu gebracht, von jeder Kirchturmspitze zu springen … und dabei verstanden die meisten kein Wort von dem, was er sagte …«
    »Ja«, sagte ich.
    »Erschreckend. Der König sollte ihm das Handwerk legen.«
    »Der König hat nicht viel zu sagen hier in der Stadt. Sie gehört den Bürgern.«
    »Sie gehört den deutschen Kaufleuten und dem Magistrat.«
    »Immerhin haben Sie das schon am zweiten Tag Ihres Hierseins begriffen. Wenn die Situation, die wir hier in der Stadt haben – diese tiefen Spalten, die durch die einzelnen Bevölkerungsgruppen gehen – irgendwo im Reich bestände und nicht hier, wo die Leute es gewöhnt sind, erst mal skeptisch abzuwarten, bevor sie irgendeinem Demagogen hinterherrennen … die eine Hälfte der Bürger würde der anderen Hälfte die Häuser anzünden, weil sie entweder jüdisch oder ausländisch oder einfach nur wohlhabender ist.«
    »Ich wollte, ich wäre wieder zu Hause in Landshut«, sagte er und starrte zu dem betenden Mönch hinüber.
    »Lassen Sie uns zu mir gehen. Ich werde Essen auftragen lassen und …«
    »Nein, mein Freund, mir ist der Appetit vergangen. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie sich seit gestern meiner so angenommen haben, aber ich will Ihre Gastfreundschaft nicht strapazieren.«
    »Na gut«, sagte ich und klopfte ihm auf die Schulter, »Sie wissen, dass das Haus Dlugosz Ihnen jederzeit offen steht.«
    Er nickte und machte einen Augenblick lang den Eindruck, als wolle er mich fragen, wann ich den Namen des Handelshauses meiner Gefährtin in meinen eigenen umzuwandeln trachtete (nie) oder wann ich endlich dafür sorgte, dass unser Zusammenleben auf eine christliche Basis gestellt wurde (das war eine andere Geschichte); dass er es nicht tat, bewies, dass er die kurze Zeit seit seiner Ankunft genutzt hatte, sich in Krakau über den Mann umzuhören, dem er ein halbes Pfund Korrespondenz mitgebracht hatte, mehr als jedem anderen deutschen Kaufmann in der Stadt. Ich nickte ihm zu und lächelte: Selbst wenn er mich nicht an meinen Freund Hanns Altdorfer erinnert hätte, hätte ich ihn seines Taktgefühls wegen gemocht.
    Rechberg seufzte. Die gute Laune schien ihm wahrhaftig abhanden gekommen zu sein. Er wandte sich von der Richtung ab,in die die Anwärter auf einen Platz in der Zuschauerschar bei der Hinrichtung eilten.
    »Gehen wir«, sagte er. »Auf mich wartet Arbeit.«
    Das Läuten der Kirchenglocken verklang. Der Mönch auf seiner Staffelei war noch immer im Gebet versunken, die Kapuze über dem Kopf, eine
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