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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers
Autoren: Richard Dübell
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welcher Lärm da aus dem Obergeschoss tobte, und …«
    » nein «, schrie der Mönch so laut, dass wir unwillkürlich zu ihm hinsahen. Er stampfte mit einem Fuß auf seine Staffelei, dass die Chorknaben an deren Basis durcheinander stolperten.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Doch. Der Aufprall brach dem Bettler ein Bein, aber für die Tochter kam jede Hilfe zu spät.«
    »Aber da kann doch der arme Kerl gar nichts … ich meine, eigentlich ja schon, aber er wollte doch gar nicht, dass …«
    »Na und?«, fragte ich. »Wo leben Sie denn, mein Freund? Die Tochter war seinetwegen zu Tode gekommen, oder nicht?«
    »Ich hoffe, der Richter hat die Umstände berücksichtigt, als er die Hinrichtungsmethode festlegte.«
    »Ja, hat er wohl. Sie hängen ihn. Zuerst wollten sie ihn in heißem Öl sotten, aber der Magistrat hielt es für zu gemein.«
    »Meine Güte!«
    »Ihr glaubt, ihr seid sicher, aber ich sage euch: Der Herr sieht jene Verirrten, und sein Auge blickt nicht wohlgefällig auf sie herab. Er sieht sie … er sieht ihnen ins Herz hinein und weint bittere tränen …«
    Rechberg schüttelte den Kopf. »Worauf will dieser Dummkopf eigentlich hinaus?«
    »… jene anderen … jene vom Teufel verführten Seelen der Finsternis … jene anderen … die statt vor dem Kruzifix vor dem Götzen Mammon niederknien … jene Diebe der ehrlichen Arbeit und jene Nutznießer der Not …«
    »Wer kann hier unter den Leuten schon Latein? Das ist doch alles genauso in den Wind gesprochen wie jedes Wort, das man zur Verteidigung des vermaledeiten Bettlers im Kürschnerhaus vorbringen wollte.«
    »Das Judenpack!«, schrie plötzlich eine Stimme in der Nähe.
    Ich wandte mich um und sah den Sprecher an; dünn, langnasig, langgliedrig, wehendes Haar: Seine ganze Gestalt wirkte so ausgefranst wie der dunkelfarbene Mantel, der von seinen Schultern herabhing. Er sah aus, als hätte er seinen letzten Wertgegenstand schon vor Tagen zum Pfandleiher getragen und als hätte seine Finanzkraft seitdem keinen Aufschwung nach oben genommen. Sein dünner Aufschrei schnitt durch den Lärm in unserer Nähe hindurch wie eine Sense durch Grashalmgeraschel.
    »Es gibt immer einen, der versteht«, sagte ich.
    Der Mann hatte polnisch gesprochen. Die meisten um uns herum starrten ihn verwundert an; die in seiner Nähe versuchten von ihm abzurücken. Der Mönch oben auf seiner Staffelei schien nicht verstanden zu haben.
    »… die das Blut der ehrlichen Arbeiter trinken und ihnen das Mark aus den Knochen saugen … !«
    »Sie haben mich ruiniert!«, rief der Langnasige.
    »… und ich frage euch: Warum duldet ihr sie unter euch?«
    Um den Mann im dunklen Mantel hatte sich ein größerer Freiraum gebildet, der zu Lasten derer ging, die ein wenig weiter weg standen. Friedrich von Rechberg und ich wurden umhergestoßen und zurückgedrängt. Als ich über die Füße eines anderen stolperte, packte Rechberg meinen Arm und hielt mich fest, obwohl keineswegs genügend Raum zum Fallen gewesen wäre. Ein paar Leute in der Nähe des Langnasigen lachten, und einer streckte ihm die Zunge heraus und tippte sich gleichzeitig an die Stirn. Wer mitbekommen hatte, was vor sich ging, drehte sich um und versuchte, Zeuge des interessanteren Lamentos inmitten der Zuhörerschaft zu werden.
    »Einst hatte ich ein Haus, Dienstboten, Kinder, eine Frau …«, schrie der Mann und schüttelte seine Fäuste gegen den Himmel.
    »Einst hattest du Verstand«, brüllte einer der Umstehenden zurück. Ein großer Teil der Menge, der sich von dem Mönchabgewandt hatte, platzte mit einem lauten Lachen heraus. Der Mönch auf der Staffelei verstummte.
    »Lassen Sie uns versuchen, hier herauszukommen«, sagte ich zu Rechberg.
    »Warten Sie … ich möchte sehen, was passiert.«
    »Was wird schon passieren? Der Mönch wird beleidigt den Mund halten, und den Kerl dort drüben werden sie, wenn er nicht aufhört zu jammern, vor die Stadtmauer tragen und in die Weichsel …«
    » dies irae !«, brüllte der Mönch. »Dies ist die Zeit des zorns ! Und des herrn zorn wird nicht ablassen, bis er tut und ausrichtet, was er im Sinn hat, und er wird brüllen aus der Höhe und seinen Donner hören lassen aus seiner heiligen Wohnung, und sein Schall wird dringen bis an die enden der erde …!«
    »Sie haben mir alles genommen!«, schrie der Langnasige.
    »Es wird kommen der große Tag des Zorns, und es werden die Felsen und die Berge auf die Häupter der Übeltäter fallen, und sie werden rufen: Verbergt uns
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