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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken
Autoren: Gary Jennings
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viel hübscher. Jedes hatte einen eigenen Charakter. Diese neuen Häuser hier sehen alle gleich aus.« Er schüttelte nachdenklich den Kopf. »Mein Freund …«, er griff nach der Hand eines Vorübergehenden, der eine Ladung Feuerholz trug, die an einem Tragriemen hing, den er um den Kopf geschlungen hatte, »mein Freund, heißt dieses Viertel immer noch Ixacuálco?«
    »Ayya«, murmelte der Mann und sah Onkel Mixtzin mißtrauisch an. »Wieso fragst du mich das? Das Viertel heißt jetzt San Sebastián Ixacuálco.«
    »Und was bedeutet ›San Sebastian‹?« wollte mein Onkel wissen. Als der Mann die Schultern zuckte, bewegte sich das Holz auf seinem Rücken. »›San‹ bedeutet ›Santo‹, das ist ein unbedeutender Gott der spanischen Christen. ›Sebastian‹ ist der Name eines solchen ›Santos‹, aber was für eine Art Gott das ist, hat man mir nie gesagt.«
    Also gingen wir weiter, und Onkel Mixtzin fuhr mit seinen Erklärungen fort: »Stellt euch vor, hier war ein breiter Kanal, auf dem sich Tag und Nacht die großen Fracht-Acáltin drängten. Ich kann nicht verstehen, weshalb er zugeschüttet und gepflastert wurde und jetzt eine Straße ist. Und dort, ayyo!« Er vergaß jede Vorsicht und hob beide Arme. »Hier vor euch, liebe Schwester und lieber Neffe, hier befand sich inmitten der gewundenen Schlangenmauer, die in vielen leuchtenden Farben strahlte, der atemberaubend große und in hellem Marmor schimmernde Platz. Er war die Mitte des Herzens der EINEN WELT. Und in diesem Herzen stand Motecuzomas prächtiger Palast. Dort drüben befand sich der Platz für das zeremonielle Tlachtli-Ballspiel. Da, etwas weiter hinten, erhob sich der Tizoc-Stein, auf dem die Krieger ihre Zweikämpfe austrugen, bei denen nur der Sieger überlebte. Und …«, er schwieg und legte einem vorübergehenden Mann, der einen Korb mit Kalkmörtel trug, die Hand auf den Arm. »Mein Freund, sag mir, was ist das für eine riesige und häßliche Baustelle da drüben? Was soll das werden?«
    »Das? Das weißt du nicht? Das wird der große Tempel der christlichen Priester. Ich meine, die ›Kathedrale‹ … die Kathedrale des San Francisco.«
    »Ist das auch einer ihrer Santos?« erwiderte Onkel Mixtzin. »Für welchen Bereich der Welt ist dieser unbedeutende Gott zuständig?«
    Der Mann erwiderte unruhig: »Soweit ich weiß, Fremder, ist er der persönliche Lieblingsgott des Bischofs Zumárraga, des Oberhaupts aller christlichen Priester.« Damit ging er eilig davon.
    »Yya ayya«, sagte Onkel Mixtzin traurig. »Ninotlancuicui in Teo Francisco. Der kleine Gott Francisco. Wenn das sein Tempel werden soll, ist es ein armseliger Ersatz für das, was sich früher dort befand.« Er machte eine lange, bedeutungsvolle Pause. »Denn dort, Schwester und Neffe, dortstand das erhabenste Bauwerk, das jemals in der EINEN WELT errichtet wurde. Es war die mächtige, aber anmutige Große Pyramide. Sie ragte so hoch in den Himmel, daß man einhundertsechsundfünfzig Stufen hinaufsteigen mußte. Oben angekommen, bestaunte man voll Ehrfurcht die leuchtend bunten Tempel der Götter Tlaloc und Huitzilopóchtli mit ihren einzigartigen stufenförmigen Giebeln. Ayyo! Damals hatte die Stadt noch Götter, die es verdienten, von den Menschen angebetet und verherrlicht zu werden! Und …«
    Er verstummte, da wir alle drei plötzlich vorwärts geschoben wurden. Es war, als hätten wir am Strand mit dem Rücken zum Meer gestanden und vergessen, die Wellen zu zählen, und wären deshalb plötzlich von der hohen siebten Welle erfaßt worden. Was uns jedoch vorwärts schob, war die Menschenmenge, die von den Soldaten auf den großen Platz getrieben wurde, den wir betrachtet hatten. Wir befanden uns in vorderster Linie. Es gelang uns wenigstens, in dem Gedränge zusammenzubleiben. Als die Menschen schließlich dicht an dicht auf dem Platz standen und allmählich Ruhe einkehrte, hatten wir einen freien Blick auf die Tribüne, auf die Priester, die langsam die Stufen hinaufstiegen, und auf den Metallpfahl, zu dem der Verurteilte geführt und an den er gekettet wurde. Der Blick war sogar besser, als ich es mir im nachhinein gewünscht hätte. Denn ich kann immer noch sehen, wie er brennt. Wie ich berichtet habe, sprach der alte Mann Juan Damasceno nur ein paar Worte, bevor das Holz zu seinen Füßen entzündet wurde. Er stöhnte weder noch schrie oder wimmerte er, als sich die Flammen an seinem Leib nach oben fraßen. Keiner von uns Zuschauern gab einen Laut von sich. Nur
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