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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken
Autoren: Gary Jennings
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Wachen hatten sie so wenig beachtet wie Eidechsen auf der Suche nach neuen Futterplätzen. In ganz Neuspanien hatten die Kundschafter weder in den Dörfern auf dem Land noch in den kleinen und großen Städten einschließlich der Hauptstadt Mexico Anzeichen dafür gesehen oder von den Einwohnern gehört, daß die neuen Herren strenger oder härter waren als die Mexica. »Meine Kundschafter berichten«, sagte Kévari, der Tlatocapili des Dorfes Yakóreke, »allen überlebenden Pipiltin des Hofes von Tenochtitlan und den Erben jener, die nicht überlebt haben, sind die Ländereien, der Besitz und die Privilegien ihrer Familien bestätigt worden. Die Eroberer haben ihnen gegenüber größte Milde gezeigt.«
    »Allerdings«, erklärte Teciuápil, der Häuptling von Tecuéxe, »gibt es außer den wenigen, die als Herren oder Edelleute gelten, keine Pipiltin mehr. Ebensowenig findet man noch Macehualtin der arbeitenden Klasse oder Tlacótin-Sklaven. Alle Angehörigen unseres Volkes sind jetzt gleich. Sie arbeiten das, was der weiße Mann ihnen befiehlt. So berichten es meine Kundschafter.«
    »Von meinen Kundschaftern ist nur einer zurückgekommen«, sagte Tototl, der Häuptling von Tépiz. »Er erzählt, daß die Stadt Mexico bis auf ein paar wenige, sehr prächtige Gebäude, an denen noch gearbeitet wird, wieder beinahe völlig aufgebaut ist. Natürlich gibt es keine Tempel der alten Götter mehr. Aber auf den Marktplätzen, sagt er, herrscht großes Gedränge, und die Geschäfte gehen sehr gut. Deshalb haben sich meine beiden anderen Kundschafter, Netzlin und Citláli, ein verheiratetes Paar, entschlossen, ihr Glück zu versuchen. Sie wollen dort bleiben.«
    »Das überrascht mich nicht«, knurrte mein Onkel Mixtzin, dem die Oberhäupter der Gemeinden Bericht erstatteten. »Dumme Bauern wie sie haben in ihrem ganzen Leben noch nie eine Stadt gesehen. Kein Wunder, daß sie nur Gutes über die neuen Herren melden. Sie sind zu unwissend, um Vergleiche anstellen zu können«.
    »Ayya!« fuhr Kévari auf. »Wir und unsere Leute haben uns wenigstens darum bemüht, etwas in Erfahrung zu bringen, während Ihr und Eure Azteca faul und zufrieden hier herumsitzt.«
    »Kévari hat recht«, sagte Teciuápil. »Es war vereinbart, daß wir Häuptlinge zusammenkommen, um über das zu sprechen, was wir in Erfahrung gebracht haben. Dann wollten wir entscheiden, welche Haltung wir in Hinblick auf die Eindringlinge einnehmen. Doch Ihr, Herr Mixtzin, zeigt uns nur Eure Geringschätzung.«
    »Jawohl«, rief Tototl. »Wenn Ihr die ehrlichen Bemühungen unserer dummen Bauern so verächtlich abtut, Herr Mixtzin, dann schickt doch ein paar Eurer gebildeten und kultivierten Azteca! Warum laßt Ihr nicht ein paar Eurer Mexica-Einwanderer die Lage auskundschaften? Wir werden alle Entscheidungen aufschieben, bis sie zurückkommen.«
    »Nein«, erwiderte mein Onkel, nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte. »Auch ich habe, wie die Mexica, die bei uns leben, die Stadt Tenochtitlan auf dem Gipfel ihrer Macht und Herrlichkeit gesehen. Ich werde selbst gehen.« Er wandte sich an mich. »Tenamáxtli, mach dich bereit und sag deiner Mutter, sie soll sich ebenfalls bereit machen. Ihr beiden werdet mich begleiten.«
    Das waren die Ereignisse, die uns drei in die Stadt Mexico führten, wo mir schließlich mein Onkel widerstrebend die Erlaubnis gab, eine Weile zu bleiben. Dort lernte ich vieles, auch die spanische Sprache. Ich habe mir jedoch nie die Zeit genommen, mi querida muchacha, mi inteligente y bellísima y adorada Verónica, deine Sprache lesen und schreiben zu lernen. Deshalb berichte ich dir jetzt meine Erinnerungen, damit du die Worte für alle meine Kinder und alle unsere Kindeskinder niederschreibst, die sie eines Tages lesen sollen. Der Höhepunkt dieser Kette von Ereignissen war, daß mein Onkel, meine Mutter und ich im Monat Panquetzaliztli, im Jahr der Dreizehn Schilfrohre – du würdest sagen im Oktober im Jahre des Herrn fünfzehnhunderteinunddreißig – in der Stadt Mexico eintrafen, und zwar genau an dem Tag, an dem der alte Mann Juan Damasceno durch Feuer hingerichtet wurde. Ich kann immer noch sehen, wie er brennt.
     
     

2
     
    Mixtzin ernannte seine Tochter Améyatl und ihren Gemahl Káuri zu Mitregenten. Sie sollten während seiner Abwesenheit in Aztlan herrschen. Mein Urgroßvater Canaútli, der inzwischen weit über hundert Jahre alt sein mußte und offenbar die Absicht hatte, ewig zu leben, würde ihr kluger Ratgeber
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