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Der Skorpion von Ipet-Isut

Der Skorpion von Ipet-Isut

Titel: Der Skorpion von Ipet-Isut
Autoren: Anke Napp
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aufnehmen wollte. Sie sog jedes Detail geradezu auf wie dürres Land lang erwarteten Regen und war kaum davon abzuhalten, mitten durch die Feiernden zu spazieren. Unaufhörlich stellte sie Fragen, über die beobachteten Riten und die Gesänge, die sie hörte, über Kleidung, Haartracht und Schmuck.
    „…und nach dem Tod vereinigen sich das Ka und das Ba wieder und kehren in den Körper zurück?“ rekapitulierte sie gerade Tameris letzte Erklärung.
    „Ja, vorausgesetzt, der Verstorbene hat ein ehrbares Leben geführt und sein Herz wiegt nicht zu schwer beim Gericht. Und vorausgesetzt, seine Angehörigen lassen es nicht an der nötigen Sorgfalt fehlen und bestatten ihn mit allem notwendigen Wissen, um die Pforten der Unterwelt zu durchschreiten und die Wächter an den Toren – schlage dir das Tuch um den Kopf; sonst sieht jeder, dass du eine Fremde bist!“
    Der Tempel, an dem sie gerade vorüber schlichen, lag wie eine große, bedrohliche Masse in der Nacht. Nur ab und zu huschte der rötliche Schein aus einem nahen Feuerbecken über die Mauer und die Krone der im Vorhof stehenden gewaltigen Statue.
    Debora war auf eine nahe Anhöhe geklettert, ohne auf die Ermahnungen ihrer Amme zu achten. Sie fragte sich, wem der Tempel geweiht war, und ob es darin ein ebensolches Bildnis auf einer Barke gab, wie es heute über den Fluss gereist war, und Dutzende andere Dinge mehr. In diesem Moment entdeckte sie etwas weiter südlich den Hofstaat der Königin.
    Aus der Ferne waren sowohl die nubischen Krieger aus der königlichen Leibgarde gut zu erkennen, als auch zahlreiche reich gekleidete Höflinge. Vor allem aber die hoch gewachsene Gestalt des Hohenpriesters mit dem Leopardenfell über der rechten Schulter. Debora starrte in die Richtung, als könne sie Kraft ihres Blickes die Distanz überwinden. „Dort ist er! Der Herr von Ipet-Isut! Weißt du, Kare hat auch gesagt, dass niemand seinen Vater kennt und manche Leute glauben, ein Dämon habe ihn gezeugt? Oder ein Gott? Tameri, ist das möglich und ist er dann nicht wirklich ein Mensch?“
    „Kind! Komm endlich! Wir müssen uns auf den Heimweg machen!“ Tameris Füße schmerzten. Hinzu kam der Gedanke an Barkos Zorn, falls ihm ihr Ausflug zu Ohren kam. Welcher Dämon war in Debora gefahren, das sie derart besessen davon war, den Ersten Gottesdiener von Ipet-Isut zu sehen?! In diesem Augenblick fragte sich die alte Amme, ob sie Debora nicht doch hätte von den anderen Geschichten über den ‚Skorpion’ von Ipet-Isut hätte erzählen sollen. Aber das war eigentlich nichts, was an die Ohren von Barkos‘ kleiner Prinzessin gelangen sollte. Tameri seufzte und fühlte sich elend. Hätte sie doch nie dem Drängen des Mädchens nach gegeben! 
    „Wir sollten wirklich umkehren, Kind! Es ist schon so spät in der Nacht, ehe wir zu Hause sind, wird –„
    „Du kannst ja hier auf mich warten, Tameri! Ich laufe auf die andere Seite des Tempels! Dort sind die Königin und der Hofstaat! Hörst du die Musik nicht, Tameri?“ „Debora, auf gar keinen Fall! Ich habe dir gesagt-“
    „Nur eine ganz kleine Weile! Ich passe bestimmt auf, dass mich niemand sieht! Es ist so dunkel hier, es WIRD mich niemand sehen, Tameri!“ 
    Damit war sie auf dem Weg. Die alte Amme brummte unwillig und folgte ihr zögernd.

    Der Hofstaat erfreute sich am Tanz einiger syrischer Sklavinnen, Geschenk eines Bundesgenossen von jenseits der Grenzen Kemets. Im Gegensatz zu dem Wesir und den neben ihm sitzenden Beamten trug die Königliche Gemahlin Nefertari hochgradige Langeweile und Unmut zur Schau. Ihre dunkelrot geschminkten Lippen waren zusammen gepresst und ihre mit Goldpuder bestäubten Augenlider halb geschlossen. Ihre rechte Hand hing lose über die Schulter des vor ihr auf den Stufen sitzenden Hohenpriesters und spielte mit dessen Ohrschmuck.
    „Das Fest ist nicht so schön wie vergangenes Jahr, nicht wahr, Amenemhat?“ fragte sie nach einer Weile. 
    „Die Leute sind unzufrieden. Die Überschwemmung war so mager dieses Jahr, die Ernte ist kläglich, die Steuererhöhungen – was erwartest du? Bei den Arbeitern in der Totenstadt gibt es auch schon wieder Streiks. Ramses’ militärische Misserfolge sind leider nicht gerade billig, wie du weißt…“
    „Ach…. Das Volk ist immer hungrig! Hungrig und misslaunig und zu faul zur Arbeit! Immer muss ein Peitschenschwinger hinter ihnen stehen!“ Sie hasste das Thema, und dass Amenemhat auch noch weiter in diese Bresche schlug, ließ ihre
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