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Der Skandal (German Edition)

Der Skandal (German Edition)

Titel: Der Skandal (German Edition)
Autoren: Fran Ray
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hinüber zum Bürocontainer. Nur wenige Strahler werfen helles Licht auf das Minengelände. Ein Schatten huscht vorbei. Neben dem Bürocontainer, in einem Schuppen, hat er einen Teller mit Katzenfutter hingestellt.
    Er kauft es im Ort, im Supermarkt. Es sind zwei Katzen, soweit er weiß. Eine schwarze und eine grau getigerte. Vielleicht ist es auch eine Katze und ein Kater. Beide sind sehr scheu.
    Er schließt die Tür auf. Das alte Gebäude soll in den nächsten Tagen endgültig abgerissen werden. Damit das neue gebaut werden kann. Und der CEO von Polycorp Minerals kommt höchstpersönlich vorbei, um sich über den Stand der Dinge zu informieren.
    Flackernd springen die Deckenleuchten an. Harpole reibt sich die Augen und gähnt. Er ist müde, hundemüde, aber er kann nicht schlafen, nicht nur wegen der Schulter. Die alten Dämonen lassen ihn nicht in Ruhe. Von Ike träumt er jede Nacht. Wenn Ike durch die Luft auf ihn zufliegt, schreckt er jedes Mal hoch.
    Die Tabletten haben nichts genutzt.
    Harpole dreht die Heizung hoch, dann schüttet er drei Löffel Pulver in die Kaffeemaschine auf dem Schubladenschrank.
    Auf dem Monitor auf seinem Schreibtisch, an dem tagsüber der Vorarbeiter sitzt, erscheint das animierte Logo von Polycorp Minerals , dann erst kann er seinen Usernamen und das Passwort eingeben. Er arbeitet gern nachts. Da ist er ungestört und kann konzentrierter arbeiten als tagsüber, wenn die Leute dauernd etwas von ihm wollen und er ständig ans Telefon muss.
    Du solltest mehr schlafen, sagt Katie.
    Eigentlich hatte er den Wunsch nach einer Beziehung schon längst begraben. Wie willst du dich denn mit fünfundfünfzig noch auf einen anderen Menschen einstellen? Da hat doch jeder längst seine Eigenheiten – und seine Albträume. Das sagt er sich immer wieder, seit er Katie kennengelernt hat. Damit er sich keine Illusionen macht. Trotzdem, manchmal denkt er, es könnte vielleicht doch funktionieren, er könnte vielleicht doch noch mal das Ruder herumreißen.
    Der Computer ist hochgefahren, und der Kaffee ist durchgelaufen. Er gießt seinen Becher voll und geht an die Arbeit.
    Neodym – wer hat davon schon was gehört? Die großen Windturbinen und die neuen Hybridmotoren können ohne dieses Element nicht laufen. Die ganze Welt ist scharf auf dieses Element, und die Chinesen sitzen drauf. Wollen den Daumen draufhaben auf den neuen Technologien. Deshalb hat Polycorp Minerals die alte Mine wieder in Betrieb genommen und die ganzen Umweltauflagen erfüllt. Weil es sich offenbar wieder lohnt, das Zeug hier aus der Erde zu holen. Amerikanisches Neodym.
    Als Frenette ihm das erklärt hat, hat er zugestimmt. Ja, er könnte sich vorstellen, für Polycorp Minerals zu arbeiten und die Wiederinbetriebnahme zu koordinieren.
    Als Harpole irgendwann auf die Uhr sieht, sind zwei Stunden vergangen. Er hat sogar seine Schulterschmerzen vergessen, doch jetzt melden sie sich zurück. Und er ist inzwischen so müde, dass er vielleicht doch noch schlafen kann. Er zieht die Jacke wieder an und geht hinaus.
    Seine Fußspuren von vorhin sind unter dem Neuschnee verschwunden. Aber es hat aufgehört zu schneien. Er wirft einen Blick in den Schuppen. Der Teller mit dem Katzenfutter ist leer. Irgendwann lassen sie sich bestimmt streicheln. Er braucht nur Geduld und Zeit.
    Als er die Stufen zu seinem Container hinaufgeht und die Tür aufzieht, muss er an die toten Papageien denken.
    Christina sitzt auf einem Plastikstuhl im Flur des Columbia St. Mary’s Hospital vor dem OP, in dem die Ärzte um Jays Leben kämpfen. Trotz Daunenjacke ist ihr eiskalt. Aber was bedeutet das schon? Wenn er stirbt, will sie auch sterben, und sie denkt, dass sie so etwas schon oft gehört hat und nie wirklich nachempfinden konnte. Ihr ist übel, sie kann und will nicht verstehen, dass Tim tot ist. Nie wieder wird er sie auf seine typische verschmitzte Art anlächeln, nie wieder wird er seine schrägen Psychiaterwitze machen.
    Jay hat viel Blut verloren, sie weiß, was das bedeutet, wenn Ärzte so etwas sagen. Sie hat es oft genug gehört. Und manchmal war es zu viel Blut. Es tut uns leid … Sie hat diese Sätze im Ohr, oft genug musste sie sie selbst sagen. Bei der Mutter von Charlene zum Beispiel. Und dann denkt sie an Jays Geburt. Zehn Stunden hat sie gewartet, und ihre Mutter hat ihr gute Ratschläge gegeben. Bis sie sie weggeschickt hat. Bei der Geburt war sie allein. Sie erinnert sich noch genau daran, wie sie ihn zum ersten Mal in den Armen
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