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Der Skandal (German Edition)

Der Skandal (German Edition)

Titel: Der Skandal (German Edition)
Autoren: Fran Ray
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aus unermesslicher Wut rollt auf sie zu. Sie spürt die Pistole in der Hand und wünscht sich, dass er genau jetzt zur Tür hereinkommt. Dann wird sie ihn abknallen, genau aufs Gesicht zielen und dann – das ganze Magazin abfeuern.
    Aber es kommt niemand durch die Tür, nur die Stimmen aus dem Fernseher dringen zu ihr, dumme, ausgedachte Dialoge.
    Jays Kopf liegt auf ihrer Brust, so wie früher, als er noch ein Baby war, als sie nachts aufstand, um ihn zu füttern, als sie oft still weinte vor so viel Glück. Dieses Wesen ist ein Teil von ihr, sie hat ihm das Leben geschenkt, und sie will dieses Leben behüten, alles Böse von ihm fernhalten. Oft hat sie gedacht, dass sie töten würde, um dieses Leben zu beschützen.
    Der Cop in ihr meldet sich zurück, erteilt klare Anweisungen. Polizei anrufen, Jay in Sicherheit bringen, vielleicht ist der Kerl immer noch im Haus.
    Sie will Jay im Badezimmer einschließen, doch sie bringt es nicht über sich, ihn wieder allein zu lassen. Sie trägt ihn, ihren siebenjährigen Jungen, auf dem Arm, in der anderen Hand hält sie die Pistole schussbereit. Sie geht zurück ins Wohnzimmer. Ihr Bruder liegt immer noch so da. Sie will sich vormachen, dass sie an irgendeinem Tatort ist und dass sie den Toten nicht kennt, dass sie Detective Andersson ist, in irgendeinem Einsatz. Aber es funktioniert nicht. Zu schrecklich ist der Anblick ihres Bruders, die lockigen hellbraunen Haare … Sie zwingt sich weiter, geht zurück in die Diele und von dort aus in die Küche.
    Sie holt ihr Handy aus der Jackentasche und wählt Aarons Nummer. Jay wird immer schwerer auf ihrem Arm. »Jay!« Du darfst nicht sterben, nicht du auch noch. »Jay, Jay, Liebling, bitte …« Nein, sie darf jetzt nicht heulen! Sie streicht ihm übers Gesicht, es ist so blass, aber die Augen sind offen, er sieht sie an, oder nicht? »Jay? Kannst du mich hören?«
    Als es klingelt, zuckt sie zusammen. Sie reißt die Tür auf, ein eiskalter Windstoß fegt herein.
    »Christina …«
    Sie bringt kein Wort heraus, starrt Aaron nur an.
    »Der Notarzt müsste gleich da sein.«
    Sie blickt ihm ins Gesicht, dabei weiß sie gar nicht, was sie dort sucht. Vertrautheit vielleicht, Verbundenheit. Dabei arbeiten sie noch gar nicht lange zusammen. Und wieder, für einen Moment nur, kommt es ihr vor, als wäre sie in einem normalen Einsatz. Sie will ihr Programm abspulen und sich bereit machen, um den Angehörigen gegenüberzutreten. Bis ihr klar wird, dass sie selbst die Angehörige ist.
    Mutter und Schwester …
    »Bist du sicher, dass er nicht mehr da ist?«, fragt Aaron leise und zieht seine Waffe.
    »Ziemlich … aber«, sie schüttelt den Kopf, »ich weiß es nicht … Vielleicht ist er noch da, in einem Schrank oder unter einem Bett, oder … vielleicht auch draußen im Garten …« Ihre Stimme zittert.
    »Leg Jay auf den Boden«, sagt er.
    Da erst wird ihr klar, dass sie ihn immer noch an sich gedrückt hält.
    »Ja, ja«, sagt sie, zieht eine Jacke von der Garderobe herunter und legt Jay vorsichtig darauf. »Es wird alles gut«, flüstert sie ihm ins Ohr und streichelt ihm über die Wange.
    Aaron geht an ihr vorbei.
    Sie lauscht. Sie will da nicht noch mal reingehen, nicht noch mal ihren toten Bruder sehen, nicht noch mal die Blutspuren im Badezimmer, nicht noch mal den ganzen Horror. Ihre ganze Professionalität ist weg, ihre Kaltblütigkeit, ihre Wut. Im Augenblick hat sie nur Angst, panische Angst um Jay. Und sie versucht zu begreifen, dass Tim tot ist.
    Während Aaron jeden Raum durchsucht, hockt sie neben Jay, hält seinen Kopf, wickelt die Jacke um ihn und wiederholt wie ein Mantra: »Es wird alles gut.« Sie glaubt es tatsächlich – bis sie an ihren Bruder denkt. Für ihn wird nichts mehr gut.
    Aaron kommt zurück, steckt die Waffe zurück ins Holster.
    »Nichts. Da ist keiner mehr. Der Täter ist wahrscheinlich durchs hintere Fenster eingestiegen.«
    Er hilft ihr auf, zusammen tragen sie Jay in die Küche, wo es wärmer ist.
    Sie zittert so stark, dass sie sich hinsetzen muss. Jay sitzt auf ihrem Schoß, sie drückt ihn an sich, sie will ihn nicht loslassen. Sie muss spüren, ob er weiter atmet. Seine Haut ist blass, und sein Atem geht flach. Sie tastet nach seinem Puls.
    »Aaron, sein Puls! Ich kann seinen Puls nicht mehr fühlen! Aaron, bitte!« Sie kennt sich nicht wieder, sie war noch nie so hilflos, so kopflos.
    »Hier«, sagt Aaron beruhigend, »ich hab ihn, ein bisschen schneller, aber er ist da.« Für einen
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