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Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator
Autoren: Marco Lalli
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Menschen. Das war die Utopie, die Kowalski entwarf. Vor einer halben Stunde war es ihm noch um Jogurtbecher gegangen, jetzt erschuf er die Gesellschaft der Zukunft. Was aber wollte er wirklich? Obwohl ich seit Monaten an seinem Projekt arbeitete, ich hätte es nicht zu sagen gewusst.
    In Gedanken versunken war ich bis zum Fahrstuhl gekommen, als Kowalski plötzlich neben mir stand.
    »Sie wollen uns doch nicht schon verlassen?« Er lächelte, als hätte er einen Witz gemacht.
    Noch bevor ich antworten konnte, öffnete sich die Tür des Aufzugs, und ein überaus korrekt gekleideter Mann trat heraus. Er hielt uns seinen elektronischen Ausweis unter die Nase. »Harald Weiß-917, Gesellschaft für Konsumklimawandel. Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen.«
    Kowalskis Gesicht verdunkelte sich, aber vielleicht schauspielerte er nur. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er den Schnüffler selbst herbestellt hätte. »Sie haben Pech«, sagte er etwas zu laut, »da wir selbst Marktforscher sind, dürfen Sie uns nicht befragen.«
    »Grundsätzlich haben Sie recht, Beschäftigte aus dem Bereich Marktforschung, Marketing und Werbung, sowie ihre Verwandten bis zum dritten Grad…«
    Kowalski winkte ab. »Also?«
    »Es geht um eine Befragung von Geschäftsführern von Wirtschaftsunternehmen. Hierbei gilt eine Auskunftspflicht zweiter Ordnung, die ausdrücklich alle Unternehmen einschließt.«
    »Ohne Ausnahme?«
    »Ausgenommen sind Sicherheitsfirmen mit staatlichen Aufträgen. – Sie sind Dominik Kowalski?«
    Das Gespräch schien die Umstehenden, die sich nach und nach eingefunden hatten, zunehmend zu belustigen.
    »Dann darf ich Sie darauf hinweisen, dass es sich heute Abend um eine firmeninterne Feier handelt, die nach Artikel 326 des Demoskopiegesetzes nicht gestört werden darf…«
    »…es sei denn, die Befragung ist im öffentlichen Interesse. Was in diesem Falle vorliegt, da der Auftraggeber die Wirtschaftskontrollbehörde ist. Paragraph…«
    Kowalski breitete die Arme aus und setzte sein breitestes Lächeln auf. »Ok, ok. Ich gebe mich geschlagen!« Er sah in die Runde und hob die Schultern. Er schien, als wollte er sagen: Sehen Sie, was ich meinte? »Kommen Sie, lassen Sie uns einen Schluck trinken, dann beantworte ich Ihre Fragen.« Während ihn der Interviewer darauf hinwies, dass er nach Paragraph soundsoviel keine Einladungen jedweder Art annehmen durfte, entfernten sie sich in Richtung Bar.
    Erst jetzt sah ich den anderen Mann, der zusammen mit dem Interviewer aus dem Aufzug gestiegen war. Es war Bogdan Draganski, der polnischstämmige Sicherheitschef der Sinex AG. Er hatte sich zur Fensterfront zurückgezogen und schien auf etwas zu warten.
    Draganski lief unruhig auf und ab, immer wieder sah er sich um, sah zum Aufzug, zur Terrasse. Den Blicken nach, die er mir zuwarf, wollte er mit mir sprechen.
    »Bogdan, wo haben Sie gesteckt?« Seit Tagen hatte ihn niemand gesehen, und dass man nicht offiziell nach ihm gesucht hatte, lag nur daran, dass er immer wieder längere Zeit von der Bildfläche verschwand. Außerdem arbeitete er am liebsten nachts, wie Blinzle auch, und so hatten sie sich irgendwann angefreundet.
    »Marc!« Er strich sich mit der Hand über den kahl rasierten Schädel. »Gott sei Dank!« Wieder sah er sich um, und ich befürchtete schon, seine Paranoia habe sich verstärkt. Für einen Sicherheitschef war Paranoia im Grunde nichts Schlechtes, zumindest wenn er sie unter Kontrolle hatte. »Ich muss mit Ihnen sprechen. Ich muss mit irgendjemanden sprechen.« Seine Stimme war leise und heiser.
    »Was ist los?« Plötzlich befiel mich eine Ahnung. »Geht es um Blinzles Unfall?«
    Für einen Augenblick starrte er mich an, dann zog er mich am Arm auf die Terrasse hinaus. Dort sah er sich prüfend um und führte mich zu zwei freien Loungesesseln in einer abgelegenen Ecke.
    »Wollen Sie etwas trinken?«
    Er schüttelte ungeduldig den Kopf. Dann beugte er sich zu mir vor. »Es war kein Unfall.«
    »Aber waren Sie nicht selbst dabei? Blinzle ist an eine Starkstromleitung gekommen. Etwas, das eigentlich ausgeschlossen ist und doch immer wieder vorkommt. Die Müdigkeit vielleicht, zu viel Routine… Man hält nicht immer alle Sicherheitsvorschriften ein…«
    »Quatsch! Blinzle ist…«, er suchte nach dem richtigen Wort, »…ausgelöscht worden. Er ist einfach umgefallen und war tot. Einfach so.«
    »Und der Strom?«
    »Das war die offizielle Version.«
    »Ein Herzinfarkt, ein Hirnschlag?«
    Bogdan
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