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Der Siegelring - Roman

Titel: Der Siegelring - Roman
Autoren: Andrea Schacht
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nicht minder wunderliche.
    »Ich werde deinen Rat beherzigen. Danke, Mutter Tekla. Ich glaube, du hast mir geholfen. Noch bevor der
Sommer vorbei ist, werde ich wohl in den dunklen Wäldern Germaniens meine neue Heimat suchen.«
    »Geh deinen Weg, Kind, und finde Frieden. Und nun leb wohl!«
    So verabschiedet kletterte Annik den Fels hinunter und ließ die Seherin allein, die unverwandt zum Horizont blickte. Dort tauchte im Westen eine glutrote Sonne ins Wasser, und der Himmel begann, sich in ein flammendes Feuermeer zu verwandeln, vor dem sich die schwarzen Silhouetten der Vögel wie Schriftzeichen abbildeten.
    Entsetzen packte die alte Seherin, und sie rief Annik hinterher: »Geh nicht!«
    Aber Annik hörte sie nicht mehr.

4. Kapitel
    Aufwachen
    Ich wachte im Krankenhaus auf, als die Krankenschwester sich an dem Tropf zu schaffen machte. Mühsam löste ich mich von den Fesseln meines Traumes, der so ungeheuer lebendig war, dass ich meinte, den kühlen, salzigen Wind in meinen Haaren zu spüren. Aber wenn ich es recht betrachtete, war da kein Wind in meinen Haaren. Ich lag in einem weiß bezogenen Krankenhausbett, den linken Arm verbunden, Infusionsnadeln in meiner Haut - und mit Schmerzen.
    Langsam, ganz langsam kam die Erinnerung an das Grauen. Der Feuerball, die glühenden Metallteile, das Flugzeug, in dem meine Freunde saßen …
    Die Schwester sprach auf mich ein, aber in meinem umwölkten und vermutlich auch von Medikamenten gelähmten Gehirn wollte sich kein Verstehen bilden. Sie sprach ohne Zweifel eine Sprache, die ich ansatzweise beherrschte. Spanisch war es, richtig. Aber es war mir zu mühsam, die Worte zu übersetzen. Sprechen war ebenfalls mühsam, denn da war irgendetwas mit meinem Gesicht geschehen.
    Es kam ein Arzt, gnädigerweise sprach er deutsch mit mir, aber was er mir mitzuteilen hatte, war alles andere als beglückend. Ich hatte Brandwunden dritten Grades am linken Arm, größere zweiten Grades an der Schulter und quer über die Brust. Dazu einen tiefen Schnitt von der Braue bis zum Kinn. Wie durch ein Wunder war mein rechtes Auge dabei unversehrt geblieben. Er tröstete
mich mit den Möglichkeiten der plastischen Chirurgie, aber ich konnte ihm nicht aufmerksam genug zuhören, und er ließ mich mit meinen Gedanken alleine. So ganz allmählich kehrten die Bruchstücke zurück. Der Anruf meiner Mutter - ja, das war der Grund, warum ich nicht mit den anderen zusammen in der Unglücksmaschine gesessen hatte, sondern zum Hotel gegangen war, um dort auf meinen Rückflug nach Deutschland zu warten. Wie ein schwerer Klumpen legte sich die Trauer auf mein Herz. Ulla, die wohl am ehesten die Bezeichnung »beste Freundin« verdient hatte, war vermutlich in den Trümmern gestorben. Aber auch um Roxane, die ständig irgendeine Stichelei, irgendeine hinterlistige Anspielung auf Lager hatte und mich aus unerklärlichem Grund ständig anfeindete, tat es mir Leid. Immerhin war sie in ihrer verletzenden Scharfzüngigkeit witzig gewesen. Grace hatte ebenfalls einiges von ihr zu erleiden gehabt, aber bei ihr war recht viel Wahres an den ätzenden Kommentaren über ihren Lebens- und Liebeswandel gewesen. Grace war milde medikamentenabhängig und knapp davor, als Nymphomanin durchzugehen. Bedauern fühlte ich auch Mareks wegen, dem sanften Jungen, der sich geduldig jedes Leid und jeden Jammer anhörte und seine eigene Befriedigung daraus zog, dass es ihm noch schlechter ging als dem anderen. Möglicherweise tat es mir um ihn sogar mehr Leid als um den egomanischen Dänen Titus, zwar ein perfekter Techniker, der sogar im dampfenden Dschungel noch eine komplett ausgeleuchtete Bühnenshow organisieren konnte, aber jeden so gut ausnutzte, wie er es nur irgend schaffte. Besonders Hawkins, den trotteligen Briten, der aus unerfindlichen Gründen lediglich beim Bogenschießen keine zwei linken Hände hatte. Wir waren ein Team, das seit einigen Jahren in unterschiedlicher Besetzung immer
wieder zusammenkam. Wir waren dann gerade lange genug beieinander, um uns nicht wirklich auf den Geist zu gehen. Wenn einer nach zwei, drei Monaten wieder bei demselben Veranstalter aufkreuzte, wurde er mit lautstarker Herzlichkeit aufgenommen. Es war eine gute Zeit gewesen, das Herumtingeln in den Tourismushochburgen der Welt. Sommer im Winter, Frühling im Sommer, ununterbrochen blaues Meer, Strand, Palmen. Sicher, manches wurde schal mit der Zeit. Das Einheitsessen, die ewig gleichen Touris mit ihren ewig gleichen Ansprüchen, die
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