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Der Siegelring - Roman

Titel: Der Siegelring - Roman
Autoren: Andrea Schacht
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vermutlich völlig bei mir unten durch gewesen. Aber irgendwie gefiel mir der Bursche, auch wenn ich ihm keine Sekunde über den Weg traute. Außerdem hatte er mir ein Problem bewusst gemacht, über das ich bisher noch nicht hatte nachdenken können. Ich wollte nach Hause! Mal sehen, wie weit die angebotene Hilfsbereitschaft reichte.
    »Marc, du kannst mir wahrhaftig einen Gefallen tun.«
    »Ah, dacht ich es mir doch. Madame brauchen nur zu befehlen.«
    »Gut, dann schaff mich umgehend nach Deutschland zurück.«
    »Mh, ja, das kann ich verstehen. Ist ein bisschen schwierig, so was vom Bett aus zu organisieren, was?«
    »Du sagst es. Kannst du die deutsche Vertretung hier benachrichtigen? Ich weiß nicht mal, an wen man sich wenden muss oder ob die gar von selbst darauf kommen. Ich bin dummerweise in den letzten Tagen etwas geistesabwesend gewesen.«
    »Mach dir keine Gedanken. Ich kenne jemanden, der darin ziemlich fit ist.«
    »Menschliches Strandgut aufzuklauben?«
    »Fühlst du dich so?«
    »Ich fühle mich grässlich, wenn du schon fragst. Und schaff ein paar Spezialisten herbei, mit denen ich mich in meiner Sprache über die Konsequenzen und Behandlungsmöglichkeiten unterhalten kann. Ein paar plastische Chirurgen hätte ich ganz gerne um meine Bettstatt versammelt.«
    »Viel sieht man nicht von dir, das stimmt schon. Aber sie haben dir nicht die Haare abgeschnitten. Das solltest du als mitfühlenden Akt werten.«
    »Damit ich sie mir, wenn der Verband ab ist, verhüllend über das Gesicht drapieren kann. Ha, ich weiß nicht. Wahrscheinlich werde ich eh gezwungen sein, den Schleier zu nehmen.«
    Dieser Marc setzte irgendeine Quelle der Schnodderigkeit in mir frei, von der ich überhaupt nicht geahnt hatte, dass sie angesichts meiner absolut bescheidenen Lage in mir noch vorhanden war.
    »Das wird sich gewiss regeln lassen. Aber so weit, dass ich mir deinetwegen die Haut über die Ohren ziehen
lasse, geht die Hilfsbereitschaft dann doch nicht. Da wirst du dich an andere Spender halten müssen.«
    »Erst nach Hause, dann weitersehen.«
    »Okay, ich eile!«
    »Und noch was!«
    »Ah, gibt man erst den kleinen Finger...«
    »Halt mir die Reporter vom Hals!«
    »Du weißt nicht, was du verlangst, Anita Kaiser alias King!«
    Scheiße, er wusste wirklich, wer ich war.

5. Kapitel
    Das Testament
    Was immer mein Zufallsbekannter für offizielle oder inoffizielle Fäden gezogen hatte - sie wirkten. Er ließ sich zwar nicht mehr blicken, aber drei Tage später war ich zu Hause. Und zwar in meinem Elternhaus, da ich im vergangenen Jahr nur sporadische Heimatbesuche gemacht und deshalb meine eigene Wohnung aufgegeben hatte. So saß ich also an diesem Sommernachmittag wieder in meinem alten Zimmer und studierte die Untersuchungsergebnisse und die Vorschläge für die weitere Behandlung meiner Verletzungen. Es waren keine rosigen Aussichten. Der Blick in den Spiegel, den ich endlich gewagt hatte, war ebenfalls nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben. Obwohl mir die Ärzte versichert hatten, dass die Narbe später kaum sichtbar sein würde und den spanischen Kollegen zu seiner Kunststickerei beglückwünschten. Noch durchzog eine hässliche rote Linie mein verquollenes Gesicht von der Stirn bis zum Kinn. Schlimmer aber waren die Brandwunden. Der Termin für die erste Hauttransplantation stand in wenigen Tagen an. Ein Teil der Schulter war so weit abgeheilt, dass es möglich war. Doch das Gewebe am rechten Arm, der am stärksten betroffen war, würde noch Wochen brauchen, um sich zu regenerieren.
    Dazu kam, dass ich in den Einflussbereich meiner Mutter geraten war, die sich, nachdem ich sie vom Krankenhaus aus angerufen hatte, mit einem Schwall von Vorwürfen überschüttete. Ich hatte keine Ahnung, warum.
Bis mir zu Hause die Zeitungen und Zeitschriften der letzten Tage in die Hände fielen.
    Marc war wirklich zur richtigen Zeit am Flughafen gewesen. Die Bilder von dem Feuerball trafen mich wie ein Schlag. Stärker traf mich allerdings der Anblick der blut überströmten Anita, die dort wie eine zerschlagene Puppe an der Hotelmauer lag.
    »Doppelte Tragödie!«, nannte die schreiende Überschrift den Artikel, und das Foto eines total zerstörten Fahrzeugs befand sich neben dem meinen. Natürlich, das war ein Fressen für die Sensationsberichterstatter. Berühmter Schlagersänger tödlich verunglückt - und am Tag darauf seine Tochter die einzige Überlebende eines Flugzeugunglücks, schwer verletzt und mit dem Tode ringend.
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