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Der Siegelring - Roman

Titel: Der Siegelring - Roman
Autoren: Andrea Schacht
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durchzogen.

    Ich musste mich an der Verkaufstheke festhalten, der Boden schien unter meinen Füßen zu schwanken.
    »Valerius?«, entschlüpfte es mir ungewollt.
    »Ja. Es scheint wahrhaftig so zu sein, dass wir uns kennen. Nur - verzeihen Sie, mir will im Augenblick nicht einfallen, woher.«
    Mir begann sich die Welt vor Augen zu drehen. Das war doch nicht möglich? Oder?
    »Mein Gott, ich muss ja eine traumatische Erinnerung bei Ihnen hervorrufen. Sie sind ganz weiß geworden. Kommen Sie, wir gehen nach draußen, hier ist es zu stickig und zu eng.«
    Er nahm mich am Arm und führte mich aus dem Laden.
    Das Sonnenlicht umfing mich, und ein kühler Windhauch brachte mich wieder einigermaßen zur Besinnung.
    »Entschuldigen Sie!«, stammelte ich. Mehr fiel mir nicht ein.
    »Ich habe mich wohl zu entschuldigen. Ich habe Sie in Aufregung versetzt. Helfen Sie mir - woher kennen wir uns? Es ist schandbar, dass ich mich nicht erinnere. Ein solches Gesicht wie das Ihre darf man nicht einfach vergessen.«
    »Oh!«, entfuhr es mir. Mein Mund schien wie ausgetrocknet. »Das … das ist erst seit einem halben Jahr so.«
    »Um Himmels willen, was bin ich für ein Idiot! Nein, das habe ich nicht so gemeint. Ich wollte sagen, eine so schöne Frau vergisst man nicht. Oh, verdammt. Jetzt lasse ich auch noch die größten Plattheiten der Welt los.«
    Auch er schien ein wenig aus der Fassung zu sein.
    Ich schluckte und versuchte, eine einigermaßen intelligente Antwort zu geben, aber mehr als ihn anzuschauen war ich schlicht nicht in der Lage. Mühsam
schüttelte ich den Kopf und sagte dann: »Wissen Sie, das ist eine lange und ziemlich absurde Geschichte.«
    Er lachte leise auf. »Oh, in meinem Leben bin ich schon in einigen ziemlich absurden Situationen gelandet. Mag sein, dass eine davon uns schon einmal zusammengeführt hat. Wissen Sie was - meine Uhr ist vorhin stehen geblieben, sie bekommt gerade eine Diagnose vom Uhrmacher gestellt. Vermutlich hat die Batterie versagt. Ich lebe sozusagen jetzt zeitlos und wollte etwas essen gehen. Begleiten Sie mich und erzählen Sie mir Ihre lange und vielleicht absurde Geschichte!«
    Hatte ich Termine? Ja, mit irgendwem war ich noch verabredet. Aber - das hier, das war zu wichtig.
    Und was sagte ich also zu Valerius?
    »Gerne!«
    »Ich bin nicht oft hier. Gibt es eine Empfehlung, die Ihnen einfällt?«
    »Zum Rhein hinunter, da gibt es einige gute Restaurants.«
    »Dann kommen Sie. Ich parke hier vorne absolut unvorschriftsmäßig im Halteverbot.«
    Ich folgte ihm zu dem großen Wagen mit Kölner Kennzeichen, ließ mir die Tür öffnen und glitt auf den weichen Ledersitz. Während der kurzen Fahrt gab ich ihm nur zwei, drei Richtungshinweise, ansonsten schwieg ich und versuchte, meine Gedanken zu sammeln. Er parkte nahe dem Rheinufer, und wir gingen gemeinsam zur Uferpromenade. Der Rhein führte schon wieder reichlich Hochwasser, und die eine oder andere Welle war auf den Weg geschwappt. Doch der Anblick war wie immer überwältigend. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser, die Häuser auf der anderen Seite ragten deutlich in der klaren Luft auf, vor uns ließen sich die Enten und ein
arroganter Schwan in der Flut treiben. Eine Galerie Möwen, die sich auf dem Geländer niedergelassen hatten, flog auf, als wir uns näherten.
    »Wenn er weiter steigt, wird es eng für die Anwohner. Der Winter ist zu warm. Es hätte mehr schneien müssen.«
    Er drehte sich zu mir um und musterte mich wieder. Ganz ruhig, aber sehr intensiv. So als suche er in seinem Gedächtnis nach einer Erinnerung.
    Ich hielt seinem Blick stand. Aber mein Herz klopfte mir bis in die Kehle.
    »Ja, ich habe Sie schon einmal gesehen«, sagte er jetzt. »Ich weiß nur nicht, wo und wann.« Ein kleines Lächeln glitzerte in seinen Augen. »Ich sollte selbst darauf kommen, nicht wahr? Aber bitte, geben Sie mir eine kleine Hilfe.«
    Eine kleine Hilfe, die eine Erinnerung von vor beinahe zweitausend Jahren hervorholen sollte? Es musste wohl schon etwas sehr Drastisches sein. Und darum griff ich in den Nacken, wo ich meinen Zopf zu einem Knoten aufgesteckt hatte. Ich zog die lange Nadel heraus, die ihn hielt, löste das Bändchen am Ende des Zopfes und flocht ihn langsam auf. Er starrte mich an, und die Luft zwischen uns schien zu vibrieren. Meine Haare fielen mir offen bis über die Taille, als ein Windstoß sie wie einen Schleier über mein Gesicht wehen ließ.
    Es fiel kein Wort zwischen uns, die Gegenwart schien aufgehört zu haben,
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